Donnerstag, 21. Oktober 2004

Itaipú

Der Titel des heutigen Eintrags bedeutet auf Guaraní: "Der singende Fels".
"A-haaaa?", höre ich euch kollektiv aufseufzen. Der Grund, weshalb ich euch dies erzähle, liegt darin, dass dieser vermutlich einmal wunderschöne Balladen erklingen lassende Steinbrocken nun unter einer unvorstellbaren Menge an Stahlbeton und Wasser begraben liegt.

Diese Unmengen an Material dienen nun dazu, zum Beispiel vielleicht den Computer zum Leben zu erwecken, den ich im Moment gerade benutze. Besser gesagt, 25% davon. Wieso 25%? Nun, das ist der prozentuale Anteil an elektrischer Energie vom Gesamtverbrauch Brasiliens, die das Bauwerk, das Kraftwerk Itaipú, generiert: Pro Jahr 100 Milliarden *kreisch* Kilowattstunden. Falls euch diese Zahl nichts sagt: Das Atomkraftwerk Gösgen generiert schlappe 7,8 Mia. kWh pro Jahr, 13x weniger.
Mehr? Beim Bau des Monsters wurde jede Stunde soviel Stahlbeton verbraucht wie normalerweise für ein 20-stöckiges Gebäude verbraucht wird.
Noch mehr? Das Kraftwerk verfügt über einen Sicherheitsabfluss, der - wenn mein Paps sich recht erinnert - 64'000 m³ Liter Wasser pro Sekunde abfliessen lassen kann. Die 40-50 fache Menge an Wasser, die die Iguaçu Fälle runterfliesst. 64 Millionen Liter Wasser pro Sekunde!
Ich dachte immer, Menschen könnten sich die Unendlichkeit nicht vorstellen - bin aber mittlerweile der Meinung, dass die Grenze irgendwo bei 64 Mio. Liter Wasser, die pro Sekunde irgendwo durchfliessen, liegen muss ;)

Trotz des netten Angebots des Taxifahrers vom letzten Tags entscheiden wir uns, wieder einmal die Dienste des lokalen Busunternehmens in Anspruch zu nehmen. Interessanterweise muss bei einer Fahrt _vom_ Busterminal nichts bezahlt werden, _zum_ Terminal _hin_ aber schon. (Trotzdem aber sind die Busse nicht voll von Velo tragenden Brasilianern ;) ) Und obwohl uns der Buschauffeur versichert, dass der Bus zum Kraftwerk fahre, beweist er uns erst sein feines Gespür für Tourismus, indem er mit uns durch die südliche Hälfte von Foz do Iguaçu gurkt. Wir können es fast nicht glauben, als der Bus zu wenden beginnt, schliesslich in Richtung Sonne (Norden) fährt, und uns tatsächlich an der versprochenen Destination ablädt. Am Ende des Tags berechnen wir, dass wir insgesamt 6 Stunden die grobmassierenden Bussitze von Foz genossen haben müssen...

Die Tour des Kraftwerks ist zu empfehlen, wenn auch nichts gegen die Schönheit des Fälle. Ehrlich gesagt, was mir am meisten in Erinnerung blieb, ist das Geräusch, das der Auslöser meines Fotoapparats von sich gibt, wobei ich mit Auslöser sowohl die Mechanik, als auch den Operator (Papi) meine: *klickediklickediklackklackwhizzklick* "Das Foto ist viel zu hell! Neeeeein, also neeein!" *brrzklickklickklickklackzooooooooomwhuuudklickediklack-zoink-bling-wusch* :)

Und das wars von mir zum
Kraftwerk.


... manchmal, des Nachts, meinen Arbeiter des Kraftwerks leise Gesänge zu hören, die die Menschheit überdauern werden, wenn schon längst Moos und Krabbeltiere wieder die Herrschaft über den Flecken Erde übernommen haben, der einst den Stolz einer von vielen dem Untergang geweihten, sogenannten Zivilisationen, darstellte...
(Um das mal nahe den Worten H.P. Lovecrafts auszudrücken)

Früh Abends machen wir uns mit der Buslinie Reunião auf den Weg nach Florianópolis. Dank anonymer Hinweise aus der Bevölkerung *g* wusste ich, dass die Buslinie Catarinense wegen der vielen (bereits erwähnten) Schmuggler nicht zu empfehlen sei. Bei der Busstation angekommen, blicke ich hocherfreut auf den bei unserer Busplattform um einiges kleineren Stapel dieser durchwegs roten und blauen Riesentragtaschen. Schon etwas weniger hocherfreut bin ich, als ich merke, dass der Mengenunterschied davon rührt, dass die Catarinense einen dieser bequemen Doppelstockbusse fährt und die Reunião ihre Waren im einstöckigen Commum über die staubigen Strassen Westbrasiliens an ihren Zielort verfrachtet.
Dennoch versuche ich es positiv zu sehen und setze dazu an, das Erlebnis wissenschaftlich wertvoll zu verwerten, und die Lebensqualität der Menschheit zu verbessern! (Vor meinem geistigen Auge sehe ich schon die Publikation in "Istop é Gente", die Tickertape Parade quer durch Rio, meine geheuchelt vorgespielten Tränen und diverse Babies, die mir in die Arme gedrückt werden)
Die Fakten:
1. Commum Bus mit 0,4 Quadratmetern Platz pro Passagier
2. 16,5 Stunden markerschütternde Fahrt
3. Testsubjekt, ein vom Brasilianischen Essen durchschnittlich deformierter Mann

Das Experiment:
Drei verschiedene Sitz- und Liegepositionen sollen gründlichen Tests unterzogen werden:
A) Die Standard Liegeposition.
Während man an dieser Position anfänglich noch Freude finden kann, da sie einem bekannten Standard entspricht, merkt man, dass mit der Zeit einige, immer aufdringlicher werdende Tatsachen ins Auge springen, oder wie in meinem Fall: In den Arm kneifen. Der Rumpf fügt sich nahtlos in den Sitz ein. Den Armen und Beinen hingegen fehlt eine Rückzugsmöglichkeit. Man könnte die Situation damit vergleichen, mit 5 Personen in einer 3 Zimmer Wohnung zu wohnen. Bei ähnlichen Bedürfnissen mag es funktionieren, aber da Beine und Arme nun mal grundverschieden anders sind (Beine wollen ihrer Natur entsprechend eher unten, nahe der Erde sein, während sich die Arme in luftiger Höhe wohler fühlen - mit Ausnahmen, wie wir in den späteren Stellungen sehen werden) kann es so nicht funktionieren. Versuche, die Beine durch Ritzen nach vorn zum Nachbar durchzuschieben, stützen sich vollends auf die Kompromissbereitschaftdesselben ab, und sind daher für konsistent erfolgreiche Resultate unbrauchbar. Eine Armstellung, die anfänglich Erfolg verspricht, ist die des Armeverschränkens. Eine Verschränkung der Arme bedeutet normalerweise Nicht-Einverständnis, Trotz, Abwehr, Rückzug. Wie wir alle wissen, sind äussere Anzeichen eines inneren Zustands nicht zwingend unidirektional, d.h. gänzlich symptomatisch, sondern bidirektional. Ein gezwungenes Lächeln kann durchaus zu einer fröhlicheren inneren Haltung führen. In unserem Beispiel führt diese über die Testdauer durchgeführte Armverschränkung zu innerer Missstimmung, einer trotzigen Wachheitsreaktion, einem Unverständnis gegenüber dem Sandmännchen, das ja eigentlich nur noble Absichten im Sinn hatte.
B) Die Faltung
Diese Stellung ist 1:1 von den optimalen Crashhaltungen, wie sie oftmals auf jenen überoptimistischen Pamphleten zu finden ist, die auf Flugzeugen in des Vordermanns Sitz plaziert ist, kopiert. (Bauch flach auf Beine legen, Kopf zwischen Knie) Offensichtlich verspricht diese Haltung eine exzellente Überlebensquote in Crashs. Eine weitere positive Eigenschaft ist, dass zirka 80% des Körpers horizontal liegen kann, im Gegensatz zu den 65% in der Standardhaltung. Zusätzlich dazu stellt sich nach einiger Zeit ein solches Wonne- und Wohlgefühl ein, wie man es sonst nur bei den ruhig liegenden Ölsardinen in den durchwegs bequemen und meist stilvoll designten Aluminiumbehältern finden mag.
C) Der Tornado
(Auch Churrasco genannt) Diese Stellung ist nur erfahrenen Busreisenden zu empfehlen. Dabei wickelt man sich um die zwischen den Sitzen angebrachte "Armstütze" (aka Zahnstocher). Der Vorteil dieser Stellung liegt im perfekten Wärmehaushalt. Bei der Standardstellung und der Faltung wird man mit dem Problem konfrontiert, dass die dem Fenster zugewandte Seite stark abgekühlt wird, während die dem Mitreisenden zugewandte Seite gewärmt, schlechtestenfalls als Kissen benutzt wird. Beim Churrasco vermeidet man gleich beide Probleme, indem man den Mitreisenden bittet, er möge einen ab und zu etwas rotieren. So wird allzeit eine andere Seite der Kälte des Fensters zugewandt, und gleichzeitig wird man nicht als Kissen missbraucht, da der Nachbar durch seine ihm auferteilte Arbeit nicht zum Schlafen kommt. Sollte dies doch geschehen, ist eine strenge, in knappem Ton vorgetragene Rüge durchaus angebracht.
:)

Zum Generellen Klima kann ich nur soviel sagen, dass normalerweise die Klimaanlage durchgehend an ist. Positiv daran ist, dass sich die Temperatur im Bus leicht errechnen lässt: Umgebungstemperatur draussen minus 20 Grad. Negativ fallen eigentlich nur die tosenden Schneestürme und die ewigen Eisbärattacken innerhalb des Busses auf, wenn draussen gerade die Sonne aufgehen will.

Mitten in der Nacht halten wir irgendwo zwischen Porto Alegre und Foz, an einer dieser 24h Churrascarias. Wir geniessen ein kleines Nachtmahl, das sich in dem Moment in einen Nachtmahr verwandelt, an dem ich merke, dass sich die Churrascaria "Nadin" nennt! Bin ich schon von der tödlich tropischen Fuss- und Klauenseuche befallen? Dieser vormals als unbedeutend abgetaner Husten könnte zu gigantischem Asthma erwachsen! Sind das Mückenstiche oder Pestbeulen?!
(Nein, es soll hier ein für allemal gesagt sein: Nadine ist keine Verbreiterin tödlicher Krankheiten! Vielmehr behält sie alle für sich... ;P)

Die 3 Könige:
Vom am Morgen erreichten Blumenau bin ich eher unbeeindruckt. Vielmehr erwecken kuriose Strassentafeln meine Neugierde. Eine zeigt nach "Gaspar", die andere nach "Belchior". Gespannt klebe ich am Fenster, in Erwartung einer Tafel, die gen "Fartasar" weist. Und mit dieser geschmacksvollen Bemerkung beende ich den heutigen Eintrag...

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