Mittwoch, 27. Oktober 2004

Pantanal Teil I

(Dieser Eintrag behandelt zusammenfassend die Woche im Pantanal)

Für alle, die hofften, ich würde das Flugzeug ungeschick flugs gen drohend entgegenkommend Boden lenken - nehmt dies! HA! :)

Nach einem ausgedehnten (zeitlich wie räumlich: 8 Meter Buffet) Morgenessen um 6 Uhr morgens begrüssen uns Ronnie ("Honey") der Pilot und seine Frau ("I'm Hooome" - nicht wirklich). Ronnie gehört dem Typ Mensch an, der von Freundlichkeit überzuquellen scheint, der es sich aber gleichzeitig nicht nehmen lässt, im Auto noch etwas mit seiner Frau zu streiten. ;)
Auf dem Flughafen erwartet uns Ronnies
Piper - dieses spezielle, und beliebte Modell stammt aus dem Jahr 1960, ich bete zum Gott der Atheisten, dass das Flugzeug neueren Datums ist. Nach einigen kleineren Startvorbereitungen (Öltank ölen, mit den Flaps flappen, und auch z.B: Wasser aus den Tanks abwassern - was meine zarten Hände Palmolivebedürftig zurück lässt) brausen wir in die Luft, mein Magen drückt weich aber beharrlich auf meine restlichen Eingeweide, die dank des reichlichen Morgenessens dem Druck gut standhalten können. (Ich kann also - entgegen weltverbreiteter Folklore - vor einem schwierigen Flug raten, möglichst viel zu essen)

Kurz nach dem Abflug bemerke ich, dass mich Ronnie nur zu fest an jemanden erinnert, den ich nie neben mir am Steuer eines Flugzeugs erblicken will: Christoph! Das Flugzeug hat aber mittlerweile schon die stuntgeprüfte Höhe von 30 Metern überstiegen und so bleibt mir nur, selbst Hand anzulegen. Ein ungewollter kurzer Anfangsausrutscher erinnert mich daran, dass eine Piper keineswegs mit einem Tieflader zu vergleichen ist, sondern ein Werkzeug darstellt, das von feiner Hand sanft geführt werden will. Auf minimalste Steuerbewegungen antwortet das Flugzeug bereits mit Kursänderungen von mehreren Grad. Zöge man das Steuer wie oft in Filmen erblickt stark gegen sich selbst, so würde das Flugzeug nicht langsam aufsteigen, sondern darauf mindestens mit sofortigem Stall, oder gar - wie auf dem Cartoon Network portraitiert - sich querstellen, mit quietschenden Pneus. Nach etwa 15 Flugminuten zwingen meine zu kleinen Bällchen der Pein zusammengeschrumpften Schultern mich, das Steuer wieder an Ronnie zu übergeben, der das Flugzeug legère auf 5000 Fuss senkt, wo er dann die Brasilianische Sitzposition (international als "Rückenschläfer" bekannt) einnimmt.

Unter uns entwickelt der
Pantanal seine Prächtigkeit. Kleine Waldgebiete streiten sich mit abertausenden von kleinen Salz- oder Süsswasserseen und offenen Savannenflächen um die Oberherrschaft. Etliche weisse Kühe (O-Ton Flo: "Sind das Schafe?" :) ) laben sich dank seit 85 Tagen erwartetem und auch endlich eingetroffenem Regenguss am frisch gesprossenen Gras. Nach einer Stunde und ein Bisschen mehr als 200 Kilometer Flugstrecke taucht im Grün unter uns die Farm auf - und noch unbestätigten Berichten zufolge soll sich dort auch eine Landepiste befinden. Noch bevor ich daran zweifeln & handeln kann, lehnt sich Ronnie etwas gar überschwenglich auf den Steuerknüppel, was unser Vehikel zu einer immer steiler nach links unten tendierenden Kurve bewegt. Als ich meine Augen wieder öffne, sind wir schon weich gelandet, links von mir ein grinsender Ronnie. (Quatsch, das mit den geschlossenen Augen stimmt nicht - wir Hankes blicken dem Tod gefasst ins Auge. Gefasst, und wie Waschweiber kreischend ;) )

Begrüsst werden wir von der Familie Leuzinger (Lucas, Marina, und deren Töchter Lele (2,5) und Ana (0,5)) - und von zwei glücksseligen abreisenden ZürcherInnen, die sich auf Hochzeitsreise befinden. Ich werde mich zurückhalten, euch Fakten - wie so oft - zur
Fazenda ("Farm") in Zahlenform an den Kopf zu werfen. Nur soviel sei gesagt: Ein durchschnittlicher Reiter wie ich benötigt vermutlich etwa drei Tage, um die Fazenda komplett zu umreiten. Dies inklusive der mehrfachen Abwürfe und Spitalflüge, die zusammen etwa 2 Tage in Anspruch nähmen. ;)
Auf diesem Ritt würde ich etwa einen Drittel der Strecke vor wilden Kühen flüchten und mich dabei in Indien wähnen (dazu später), einen Drittel der Strecke würde ich mich per Machete durch den oberhalb zwei Metern ziemlich Europäisch aussehenden, unterhalb von fiesen Stech-/Kratz-/Fiesheitskakteen verseuchten Wald hacken. Der letzte Drittel der Strecke wäre diversen Salz- und Süsswasserseen gewidmet, in denen ich all die zwischendurch erworbenen Kratzer baden könnte. Mmh, vielleicht ist es angebracht, mich etwas verständlicher auszudrücken. Nun gut. Auf den 8'000 Hektaren der Fazenda finden sich etwa 130 meist ziemlich rundliche Seen (~50% salzig, ~50% "süss"), die von fruchtbarem Weideland umgeben sind, welches wiederum von Wald umgeben ist. Zu meiner Überraschung tummeln sich trotz Schweizer Gastgeberfamilie nicht etwa pralle, glücklich über die Weiden hüpfende Schweizer Milchkühe, aus deren Eutern frische Milchschokolade sprüht, sondern Indische Kühe, die einem schwer das Bild vermitteln, man wäre in Indien. Was mir dann auch von den Temperaturen bereitwillig bestätigt wird: Üblicherweise 34 Grad mittags, Rekord 37, Abends um 10 Uhr so 23-26 Grad. Die Luft über der Wüste sirrt, Tiere verstecken sich unter Steinen, eine Hängematte knirscht galgengleich, die Extremitäten ihres Opfers (Ich) baumeln im Wind, mal hier-, mal dorthin, wie es die Schwerkraft ihnen gebietet.
Trotz der unter den (*DEN*) Umständen offensichtlich reifsten Alternative, in die Tiefkühltruhe zu steigen und dort permanent an diversen Eissorten zu lutschen, begeben wir uns auf täglich zwei Exkursionen in die gräuliche Obherrschaft der Sonne. Und ich muss sagen, Hitze hin oder her - ich war vom Pantanal beeindruckt. Man wird fast wörtlich mit Tieren beworfen. Schon am ersten Tag, bei dem mein Paps und ich noch ahnungslos hinter den beiden Führern (Lucas und Fernando, ein Cowboy) herstolpern (teilweise auch auf dem Jeep, das dann ohne Stolpern), erblicken wir Krokodile, Papageien (Aras), etliche Vogelarten (Sand Pipers usw.), Capibaras (Monsterhamster des Todes), Brüllaffen, Reiher und etliches mehr. Am Besten, ihr guckt euch durch die Bilder auf obiger Webseite.
Auf späteren Exkursionen wird unser Blick weiter geschärft. Am zweiten Tag fühle ich mich wie ein 12-jähriges Mädchen, das gerade beim Wendy-Preisausschreiben ein Pony gewonnen hat - wir gehen Reiten! Juhu! *räusper* Wohl dank unserem eher gemächlich eingenommenen ausgezeichneten Morgenessen verpassen wir leider knapp, wie die Cowboys ("Howdy" heisst hier "Falou" passend übersetzt: "Du hast gesprochen!") die Rinder zusammentreiben, um sie zu säubern usw. Dennoch stehen die etwa 200 Kühe immer noch enggedrängt am Zaun. Ich reite hinter sie, neben den Zaun. Es ist eine ausgesprochen merkwürdige Erfahrung, das von einem äusserst mulmigen Gefühl begleitet wird, wenn man vor sich 200 Augenpaare auf sich gerichtet sieht, während hinter einem ein Zaun den Weg versperrt, und man wieder mal zu faul war, das Pferdehandbuch komplett durchzulesen: Welche Hebel zu ziehen, welche Knöpfe an dem Vieh zu drücken wären, um es zu vertikalen Höhenflügen über Zäune zu bewegen, blieb mir verschlossen. Obwohl die Idischen "Nelore" Kühe normalerweise ziemlich wild sind, sind sie sich mehr oder weniger an Pferd und Reiter gewöhnt, und machen auch bereitwillig den Weg frei, als ich wieder in die Freiheit reite. Die Wildheit (will heissen Ungezähmtheit, nicht etwa Zähnefletschen usw., obwohl das auch amüsant wäre) drückt sich darin aus, dass man die Kühe regelmässig zusammentreiben, und mit Pferd und Reiter bekannt machen muss, damit sie nicht verwildern. (Wer weiss, wieviele Kühe sich in den Wäldern verstecken, frei und ungehindert das rauhe, aber freie Leben führen, eine Marlboro zwischen die Lippen geklemmt? ;) ) Die Kühe zu führen ist auch nicht gerade eine einfache Aufgabe. Folgen sie nicht von selbst, kommen die 11 Leitkühe zum Einsatz, die von klein auf an den Umgang mit dem Menschen, und mittels paarweisem Zusammenbinden an die anderen Kühe gewöhnt werden.
Warum die Mühe, wenn doch europäische Kühe viel pflegeleichter und auch braver sind? Die Anwort liefern uns die im Schatten eines Baumes mit hängenden Zungen hechelnden Schweizer Kühe, die sich nur zu gern den Schweiss (schrieb erst "Schweizz" - hmmm) von den Hörnern wischen würden. Die Kühe, die wir uns gewöhnt sind, würden die Hitze und die langen Trockenperioden nur unter Aufgabe ihrer Fortpflanzungsfunktion unter Anderem aushalten. Die Indischen Kühe halten das Klima ohne Weiteres aus, und zum Zeichen ihrer Überlegenheit stehen sie auch noch den ganzen Tag in der brütenden Hitze, mit wie mir scheint einem überheblichen Grinsen auf dem Gesicht. Dennoch: Die Schweizer Milch ist immer noch die beste. Daher die Schweizer Kühe. Hüaraguat! :)

Weitere Aktivitäten in Kürze:
- Kanufahren, den Rio Negro hinunter. Sehr angenehm. Der erste Kaiman, der zwecks Aufwärmung regungslos mit offenem Gebiss auf dem Bauch in der Sonne liegt, wird so ausgedehnt aus allen Winkeln und Distanzen fotografiert, dass ich fürchte, dass er sich demnächst auf uns stürzt, um per spitzen Zahns unsere Bauchdecken zu öffnen, kaltblütig (<- Informative Anmerkung für Kinder ;) ). Der Fotografierdrang schwindet dann stetig, um schliesslich beim 347. Kaiman zu verstummen. Dazwischen: Spektakuläre Fotos von uns angreifenden Vögeln! *g*

- Fischen! Den Strohhut ins Gesicht gezogen, ein Buch von Jack Kerouac "On the Road" auf den Kniern, mache ich es mir bequem, um die Ankunft des ersten Fisches zu erwarten, nach früheren Fisch-Erfahrungen etwa in mehr oder weniger 2 Stun... *yoink* Nach etwa 0,3 Sekunden, in denen der (merkwürdigerweise aus Kuhfleisch bestehende - was genau fangen wir? Nessie?) Köder kaum Zeit hatte, unter die Wasseroberfläche zu sinken, beisst der erste an. Und wie! Ein Piranha muss per Zange vom ohnehin schon zerbissenen Haken genommen werden. Seine halbkreisförmig angeordneten, dreieckig spitzen Zähne kratzen über das Werkzeug, ein schauerliches Geräusch verursachend. Leider ist er zu klein, weshalb er wieder als Fischfutter verwendet wird, eine Wunde an seinem Bauch markiert die Stelle, um die sich kurz nachher etliche seiner Brüder drum streiten werden. Der Zweite beisst die Angelschnur durch, wieder ein Haken geht flöten. Ich versuche neue Arten des Angelrutenzuckens, des Fleischbefestigens - erneut: Ein Fisch, Überraschung! Verbissen reisse ich an der Rute, in der Hoffnung, den Piranha durch ein schnelles An-Land-Ziehen vom Zerstören weiterer Angelhaken abzuhalten. Es gelingt, aber es handelt sich keineswegs um einen Piranha, vielmehr um etwas, das aus dem Fluss neben Tschernobyl oder aus der Gegend um Saturn stammen könnte. Vier Antennen spriessen aus dem Kopf des Ungetüms, die Flossen stachelig. Mein Gedächtnis klärt mich kurz danach auf, dass es sich dabei um einen Wels handelt. Später, noch besser, ein Tigerwels, äusserst schmackhaft! Der Preis des Tages für den grössten Unglücksvogel (d.h. -fisch) schliesslich geht an Piranha Nummer 2, der sich beim Herausziehen merkwürdig fest wehrt, zappelnd, dennoch aber ziemlich leicht scheint. An der Luft löst sich das Mysterium schnell: Bloss der noch zuckende Kopf hängt an der Rute, am Hals von zwei starken Bissen vom Rumpf getrennt. Als Suppenfisch nur wenig geeignet, erweist er sich als Köder von vorzüglicher Qualität.
Zwei Tage später geniessen wir eine exzellente Fischsuppe, die sogar mich als Verwehrer jeglicher Meeresfrüchte zu überzeugen vermag. :)

Die Mittage sind wegen der Hitze der ausgezeichneten Bibliothek unserer Gastgeber gewidmet: "The Painting of Dorian Gray" von Oscar Wilde (Lord Henry Wotton regt zu Gedanken an), "Anleitung zum Unglücklichsein" von Watzlawick (Lebensratgeber, der sich in Ironie hüllt), und schliesslich "Versuch über die Liebe" von Alain de Botton (Ich sag mal: Etappen einer Liebe).


Mehr zu den Tieren und dem Rückflug später...

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