Donnerstag, 27. August 2009

Dreiwettkampf

(athlos, griech. Wettkampf)

Bisher hatte ich mich auf die meisten Wettkämpfe nur sehr sporadisch vorbereitet – im Glauben, der Wille allein könnte diesen Körper über staubige Hügel tragen. Wie die Feder das Schwert bezwingt, so könne der Löwe im Herzen (oder wenigstens Frosties-Tiger im Magen) die behäbigen Massen zu Wundertaten aufrühren und mitreissen. Zwar führte dies ab und zu zu gar beachtlichen Überraschungserfolgen, aber es blieb meist der schale Nachgeschmack einer zu billig errungenen Belohnung, jedoch meist ein faires Abbild der hineingesteckten Mühen.

Vor noch einigen Monaten schallte der Ausdruck "Triathlon" für mich noch mehr nach "Ertrinken, Strampeln, Kriechen, Tod." als nach "Gleiten, Fliegen, Hüpfen, Glückseligkeit."

Dies sollte sich ändern! Mit einer nur ganz minimal ausgeprägten Neigung in Richtung Velofahren (HAHA) trainiere ich ausserdem täglich noch Schwimmen oder Joggen. Nicht selten verbinde ich z.B. Joggen mit nützlichen Botengängen. Nächtlich spazierenden Schwamedingern werden noch jahrelang zwei durch die Büsche schwebende TexAid Säcke in grausiger Erinnerung bleiben. Wenigstens kommt kurz das Gefühl auf, Rocky-gleich mit zwei schweren Schweinehälften die Treppen hochzustieren, in den Ohren schallt "Das Ei des Tigers".

Mit professioneller Hilfe von Jo bereite ich mich auf den im Morgen bevorstehenden Wettkampf vor: Kohlenhydrate türmen sich vor uns auf und noch während ich das tomatene Wirrwarr der spaghettenen Würmer als in der 10-stündigen Zeitspanne als unverdaubar erkläre, spüre ich schon den erwartungsvollen Blick von Jo in der Seite, der mich sanft aber bestimmt zur Pfanne führt, eines Nachschlags wegen. Die Sauce ist sehr verführerisch und so kommt es, dass ich mich bald schweren Magens im Bett wiederfinde. Zwei Stunden später wache ich auf, in der Gewissheit, mein Nachbar hätte mich ans Kunsthaus verkauft: "Ball, Extremitäten, Filzzunge, Beuys 1977"

Es ist ein prächtiger Morgen, die Sonne lacht uns an und es kommt tatsächlich Wettkampfstimmung auf :) Bald finde ich die Nummer 1307 (meine) und bereite mich hastig vor, indem ich die jeweiligen Utensilien höchst durchdacht und clever auf dem Velo und dem Boden verteilen. Ein Feng Shui Spezialist hätte seine helle Freude daran gehabt. Der Drache kommt vom Berg zum See, sag ich da mal. Dass sich der Drache nachher im Vorbeiweg an mir verheddert und wertvolle Sekunden stibitzt… ;)

5 Minuten vor dem Wasserstart finde ich Andi und mit seiner "ruhigen" Art "beruhigt" er mich (um es zu visualisieren: Vom Tisch aufstehen und wild mit den Armen flattern, wenn möglich Gackern ;) ). Zu den kleinen schönen Gesten des Rennens gesellt sich dieser: Jo bietet mir einen Schluck Wasser vor dem Start an, was mich ungemein motiviert :)
Plötzlich geht es los – hunderte Arme peitschen auf das Wasser ein, leider werde ich gleich zu Beginn von einer Ferse ins Auge getroffen, später noch auf die Nase, was etwas demotiviert, sich im Crawlen zu üben. Ich mache es trotzdem und kriege nach einigen Dutzend Metern gleich nochmals mehrere Schlucke Wasser offeriert, diesmal vom grünen Greifensee. Reich an Chlorophyll und Schwebeteilchen, denke ich mir kurz, notiere mir aber mental, selbigen das nächste Mal nicht mehr durch Ohr und Nase einzunehmen. Das Schwimmen vergeht wie ein Traum, energetisch erklimme ich die Stufe per Knie, werde motivierend von Jo bewinkt und düse sogleich zum Wechselplatz, wo der vorherig erwähnte Drache auf mich wartet und sich zwischen Kleidung, Schuhen und dem Velo selbst zum See zwängt.

Ich kann es kaum erwarten zu Velofahren! Meine Standardstrecke, diesmal mit Triathlonlenker! Ich hüpfe zum Start mit einem breiten Grinsen und steige fahrtoll zu früh auf, was aber nicht mit einer der gefürchteten schwarzen Karten quittiert wird. Endlich! Mein Ziel ist es, in unter einer halben Stunde um den See zu fahren, damit 40km/h zu fahren. Gleich als erstes fällt mir auf, dass ich den Bordcomputer falsch konfiguriert habe – wild drücke ich auf den gummigen Tasten herum. Uhrzeit? Nein. Kalorien? Neeein. Durchschnittsgeschwindigkeit? Oh ja.

Ich gebe Gas – gleich zu Beginn überhole ich einen wie wild strampelnden Mountain Biker und einen (beeindruckend schnellen) City Biker. 100 Punkte für jeden. Nach einem Kilometer merke ich aber wie meine Beine nicht wirklich drücken mögen. Die Durchschnittsgeschwindigkeit dümpelt bei 30 herum. Fatal! Übliche Autorituale "Choke?", "Handbremse an?", "Normal getankt?" versagen. Mürrisch kaue ich auf einem "Ride Shot" herum, ein überteuertes Gummibärchen für Breitensportler mit laut Werbung quasimystischen Kräften. Im nächsten Leben falle ich einfach als Kind in den Zaubertrank, problem solved.

Als ich beim schlechten Ei ("Bad Egg") um die Kurve biege erblicke ich die erste Steigung nach Maur und etliche Radfahrer, die sich die Steigung hochmühen. Ein unerklärlicher Jagdinstinkt bricht jäh durch und ich fliege plötzlich die Steigung hoch, mit 42km/h, alle überholend. Das heisst, fast alle. Ein bereits zuvor gehörtes, verdächtiges Geräusch will nicht von meiner Seite weichen: *Ka-Ding* *Ka-Ding*. Ich drehe meinen Kopf und da ist er: Fredy. Ein kurzer Flashback zu jener wilden Bladegottheit lässt mich aufschrecken. Augenblicklich verspüre ich Antipathie. Fredy. Ich nenne ihn nur so. Aber er heisst gewiss irgendwie so; älter, eine fast kopfumspannende Glatze, sehniges Gesicht, drahtigen Körper.
*Ka-Ding* *Ka-Ding*
Und er lässt sich nicht abschütteln. Ich schalte einen Gang runter, erhöhe die Drehzahl auf 120, der Motor heult auf: "jaul, jaul", 45km/h, wir fetzen durch Maur, diesen komischen Bauernhof mit diesem … Dings, irgendwas, Fällanden, dort die Strasse runter.
*Ka-Ding* *Ka-Ding*, nun dringlicher, schneller, verstummend: 54km/h.
Beim Anstieg an der nordwestlichen Ecke des Sees bläst mir ein brutaler Wind entgegen, ich werde langsamer. Unangenehm langsam, hinter mir beginnt wieder dieses unerträgliche Geräusch. Ölt der Mann je sein Velo??? Vor mir eine Gruppe, unüberholbar breit. Da rast plötzlich Fredy an mir vorbei winkt mir verächtlich mit einem Finger zu und meint "He, Gas gäääh."

FREEEDYYYY! Fast unmittelbar schiesst mir das Blut ins Gesicht, die Augen treten hervor, der Atem wird schwerer, tiefer, grollend, der Mund: schäumt. Wir schiessen plötzlich an der Traube aus Metall, Fleisch und Rädern vorbei (Hallo Andi). Fredy vor mir im Ziel? Niemals, so wahr ich Florian "Oberschenkel" Hanke heisse! Glühenden Beins strample ich an ihm vorbei, und pralle in der Wechselzone wieder mit dem Drachen zusammen, der sich nach seinem kurzen Bad im See gemütlich wieder zum Berg aufmacht, das mir fehlende Badetuch (Geklaut? Nein, vergessen.) lässig um die Lenden geschwungen.

Ich jogge los, in froher Erinnerung mein mitternächtens errungener 4:15 Schnitt. Sehr ferner froher Erinnerung. Der Drache wirft mir noch ein ominöses "Konfuzius sagt: «Wer locker flockig hüpfen mag, der besser seinem Rad entsag»" hintennach, dessen Bedeutung mir bereits nach wenigen hundert Metern klar wird. Die Essenz der letzten Sportart: Ich bin unheimlich motiviert, Joggen zu gehen! :) Überhaupt, Schwimmen ebenfalls.

Nach mehr oder weniger kurzen 5km lächle ich mich ins Ziel und werde von Jo, Sarah und Andi empfangen! :D

Jetzt ist Jo dran – sie macht den für mich in dem Moment unglaublich hart erscheinenden echten Triathlon. Bereits nach einer Viertelstunde sind die Schwimmerinnen nur noch (für erst jetzt dazugestossene) als Entchen in der Ferne erkennbar.
Nach nur ein wenig mehr als einer halben Stunde fliegt sie auch schon weiter aufs Rad. Sarah und ich versuchen ein Foto zu erhaschen, stolpern durch die Massen und drängeln uns an den Fahrbahnrand. Uns fast ein Bisschen neidisch zurücklassend entflieht sie uns über die durch Oetwil, Chrüzlen, Egg, Zumikon, Ebmatingen, Maur, Fällanden führende, geniale Velostrecke.
Die Laufstrecke legt sie dann als nur 14. zurück…

Im nächsten Abschnitt könnte ich euch nun in Echtzeit eine halbe Stunde lang über eine gewisse Massage erzählen, welche magischer Finger ausgestattet jegliche Knoten in meinen Beinen findet, die grösste Pizzeria der Welt, einer Welt, in der man allen Du sagt und einem Joghurtglacé, welches ich in meinen kühnsten Träumen nie erreichen werde. Und natürlich Apfelwein. Immer wieder Apfelwein.

Triathlon, ich werde da sein.

Montag, 24. August 2009

Nach vorn

Nirgendwo denkt es sich so gut wie in Bewegung. Nirgendwo wird der Hunger so stark geweckt. Durch nichts wächst die Sehnsucht mehr als durch die Bewegung selbst.

Das kann im Zug beginnen – den Blick nach vorn gerichtet, den Schreibblock auf den Knien, die Bäume wie an den Drähten aufgehängt, am Fenster vorbeigeführt.

Das geht weiter übers Rad, die Jagd über den Asphalt, sich von Velofahrer zu Velofahrer hangelnd, Hügel erklimmend, strahlende Sonnenuntergänge verschwinden sehend, zu Tal brausend.

Es endet in fernen Ländern, fremden Düften, andersartigen Kulturen, und reisegeschwängerten Konversationen, die sich doch immer im Kern um eins drehen: Den Menschen und die immerwährende Sehnsucht; nach vorn, nach vorn.

Nein. Es endet nie.

Die Findung des Rads

Soeben bin ich von einem richtig schönen Abend – die Ergon (die Firma, in der ich 2 Jahre war, bis vor etwa 2 Jahren) feiert ihr 25-jähriges Jubiläum – zurückgekommen. Alte Geschichten werden aufgewärmt, von fernen Reisen erfahren, geborene Babys gezählt, Geektum zelebriert. Nebenbei erfahren 4 Würste ein würdiges Schlundbegräbnis… Schön wars, danke!

(Ausserdem nehme ich der Leute Lob angesichts meiner gestrigen Veloleistung dankend an – ich wurde bereits in den Expertenstand erhoben. Auch wenn man sich insgeheim etwas unwürdig fühlt, staunenden Menschen Rat aus einem gar kleinen Topf auszuteilen, so ist es doch unglaublich motivierend, die offenbar gesehene Grösse bald auch tatsächlich auszufüllen)

Der bewegende, aber relativ unbewegte Abend liess mir die Beine zappeln. So stark, dass ich die Strecke Waldgarten-Greifenseestrasse im schnellen Joggingschritt hinter mich bringen musste. Ich muss zugeben, am liebsten wär ich auch gleich noch Velo fahren gegangen, aber das Nachtsichtgerät aus der Ukraine lässt immer noch auf sich warten, und dies, obwohl es aus totaal sicheren militärischen Quellen stammt ;) Nein, nicht wirklich.

Am 6. September werde ich genügend Zeit haben mich auszutoben, wenn ich mich um 8 Uhr morgens an der Züri Metzgete auf eine Reise in die Weiten von Westzürich aufmache. (Und – so die Hoffnung – auch wieder zurück ;))

Bis dahin verstreicht nicht mehr viel Zeit, daher habe ich mir einen überaus ausgeklügelten Trainingsplan bereitgelegt, der in der üblichen Velomessweise ca. 46mg Erythropoetin (Epo) entspricht:
25. - Rad easy (Regen bläh) Dafür 40 Minuten Beintraining mit Schwimmen.
27. - Rad hart (Regen) Dafür am Tag zuvor Rad und am Tag danach Schwimmen.
29. - Rad easy (Pause, Kohlenhydrate tanken – in Form eines Tiramisu)
30. - Rad hart (Metzgete) (Danke Julian fürs Begleiten)
31. - Rad easy
02. - Rad hart
04. - Rad easy, Spaghetti
05. - Spaghetti
06. - Metzgete (Done ;))
Dazwischen immer ein Ruhetag, die easy Strecken sind 50-60km, die harten etwa 90. Die Spaghettitrainings werden anhand der Vorgabe meiner Lieblingsmästerin Jo durchgeführt: Essen bis man nicht mehr kann plus ein Teller :)

Wenn jemand gerne mitfahren möchte, nur melden. In den Ruhetagen bin ich auch immer – immer – für lockere Velotürchen zu haben :)

Donnerstag, 6. August 2009

Tage der Erinnerung

Ja, wir sind 360km in 2,5 Tagen gefahren – jeder Höhenmeter fletschenden Zahns errungen, den Gegenwind zusammengekniffener Augen ertragen, die vollendete Erholung in gargantesken Apfelstrudeln gefunden und behalten, die Reifen auf rauhem Gelände glühend geschliffen, Blätter hinter uns aufwirbeln lassen, Kind und Hund Freude des Tages geschenkt, Cordon Bleus bestaunt, die selbst Rocky Balboa hätten wanken lassen, die Geschmacksknospen des Isostars überdrüssig werden lassen, den Namen der Wieskirche knapp aber heftig debattiert, die Hügel, Berge!, eine Familienpackung Sitzcreme an latent gedrückten Orten verteilt und bald per Bachblüte einbalsamiert, Yogalektionen gebend und nehmend, Beine dem Himmel entgegen gereckt, den Schweiss mit lässiger Zungenbewegung der Lippe entrissen, Karten rauh atmend bestaunt, motivationsraubendste Steigungen erklommen, Jägerplätzchen-Uboote im Pilzmeer aufgespürt, mit wilden ungebändigtem Ehrgeiz einer fehlleitenden Strasse nachgehetzt, glücklichen Bäckerstöchter noch den Tag versüsst – und umgekehrt, auf den weisen Rat Eingeborener gehört, eine beeindruckende hundertjährige Grossmutter lachen lassen, in die Bayrische Küche eingetaucht, um triumphal mit weissen Würsten auf den Schultern heimzukehren, Karten drehend, studierend, geniessend, süchtig werdend, die Haare lässig im Wind tragend, die rücktrittfreien Räder geniessend, trügerischen Karten blind in Hügel und Wald folgend, den gott-ver-damm-ten Sulzberg verfluchend, österreichische Sprachunikate entdeckend das "siedeln" feiern, das Video des Tages in Silizium bannend, magische kartenfreie Portale in andere Welten bestaunend, den Hirschen um dessen Spaghettivorrat bringend, den Argwohn der Urbewohner gegenüber Bischofszell bestaunend, heimatliche Strassennamen entdeckend, … das Ziel, die Nähe Münchens bluthunden riechen, aufsaugend entgegenrasen, glühender Dreifachwaden wild über Gehwege fliegen, koste was es wolle ankommend. Viel zu früh, viel zu früh.

Und dies, liebe Leser, ist nur der Bruchteil der Liste, welche sich über diese zweieinhalb Tage erstellen liesse. Nur zu oft versinken wir in der trügerisch wohligen Routine und vergessen, dass da noch eine Welt existiert, welche nur darauf wartet, dass wir sie leuchtenden Auges besuchen und in uns aufnehmen, niemals loslassend, für immer in uns tragend, bereit, erneut hervorgenommen zu werden…

Wann ergreifst Du Deine nächsten zweieinhalb Tage? Warum erst dann?