Sonntag, 19. Juni 2011

Melbourne I

Mit einem leichten Schock werfe ich einen Blick auf das Datum des letzten Eintrags: Bereits zwei Monate sind vergangen, seit ich hier angekommen bin!

Viel ist seither passiert – bereits quer durch die südöstliche Ecke des Kontinents gekurvt, mit Rädern in unterschiedlichem Zustand über das was man hier "Radweg" nennt geholpert, und mir ein neues Hobby, Klettern, angeeignet. Nebenher mich durch die Administration der Universität gehangelt. Von Liane zu Liane, diverse Affen angetroffen ;) – aber auch etliche hilfreiche und liebenswürdige Leute.

Ich weiss gar nicht, wo ich beginnen soll. Nur schon die Adjektive der ersten zwei Monate aufzulisten, würde eine Monitorseite füllen. Spannend, ja, interessant, ja, abenteuerlich, sicher, aber auch stressig, in der Tat, oder schlaflos, das auch.

Als erstes quartiere ich mich im Future Hotel ein – eine Jugendherberge, die laut Webseite "eben erst gerade frisch renoviert wurde", inklusive Kino, Bar, und Sportzentrum. Und das für nur 28 Dollar pro Nacht! Als geborener Optimist und glücklich, so einen guten Fang gemacht zu haben, reserviere ich gleich 17 Nächte darin. Zu einem gar kurzen Glücksgefühl kommt später frei Haus noch ein grösserer Lerneffekt dazu: Die Webseite wurde nämlich in der Zukunft geschrieben. Zwar wurden im Kino sehr bequeme Stühle montiert, und sie zeigen auch alle zum Glück in die richtige Richtung, aber dennoch fehlen entscheidende Komponenten: Die Leinwand und die sich bewegenden Bilder. Die Bar wird in groben Zügen durch einen Hohlraum im ersten Stock umrissen, so dass man das Gelächter und die klirrenden Gläser gut erahnen kann. Am vollständigsten gibt sich der Kraftraum. Die meisten Geräte sind zu 90% fertiggestellt, es fehlt oft nur der Sitz. Der Preis für das vollständigste Gerät geht aber an die Brustpresse, bei der eigentlich nur das kleine Metallteil fehlt, mit dem man das Gewicht einstellt. Und so quäle ich mich (mental) durch mein langweiligstes Krafttraining: 250 Wiederholungen à 2,5kg.

Im Viererzimmer lerne ich einige interessante Charaktere kennen: Der deutsche Anwalt, der einfach mal so nach Australien gekommen ist, und Tag und Nacht nach einer Wohnung in Melbourne sucht. Damals belächle ich ihn ein Bisschen, denkend, dass es doch nicht so schwer sein könne, eine Wohnung zu finden. Fast fällt er auf einen hier alten Trick herein: Eine sehr nette Anwältin, die nach London gezogen ist und eine unglaublich tolle Wohnung in der Mitte von Melbourne besitzt. Leider kann man sie nicht ansehen gehen, dafür aber kostet sie nur 700 Australische Dollar pro Monat, was ziemlich genau 700 Schweizer Franken entspricht. Zwei Monatsraten sind fällig, auf einen etwas dubiosen Service. Nach einiger Nachforschung finden wir heraus (Bildähnlichkeitssuche), dass das Logo ihres Anwaltsbüros von einer anderen Australischen Kanzlei gestohlen ist, genau so der Name – und alle Unterschriften sind gefälscht. Wir machen uns natürlich die nächsten 5 Tage einen Spass daraus, immer faaast einer Geldüberweisung zuzustimmen.
Oder der Chinese, der entgegen den Wünschen seiner Eltern nicht Buchhaltung studieren will, sondern Literatur, und daher fast die ganze Zeit frustriert im Zimmer sitzt. Als er sich an Abend vor seiner Rückreise beklagt, dass man hier in Melbourne kein gutes asiatisches Essen finden kann, staune ich ihn nur entgeistert an. Minutenlang, will ich fast schreiben, denn es fühlte sich so an. Es folgt ein lustiger Abend im hiesigen Chinatown mit einem dankbaren Chinesen.
Eine Beschreibung des jungen Australischen Pärchen bleibt euch leider vorbehalten, da ich nicht viel mehr dazu sagen kann, als dass dessen Hobby darin bestand, mich kichernd mit rhythmischem Schütteln des Etagenbetts in den Schlaf zu wiegen.
Ein Schlaf, der, so unterhaltsam er oft umrahmt ist, jeweils auch ziemlich seicht und kurz bleibt, da um 6 Uhr 30 die lautstarken Bemühungen beginnen, das Hotel der Webseite anzugleichen. Ich geniesse aber die menschenleeren Morgen, die ich oft mit einer riesengrossen Tasse Milchkaffee in der italienischen Bar in der Nähe verbringe. Nach zwei Wochen im Future Hotel wechsle ich ins Graduate House.

Nach einiger Zeit am neuen Wohnort holt die Realität die Webseite ein und mit einem müden Blick beäuge ich letztens den ehemaligen Hohlraum, aus dem nun Gelächter und das Geräusch von klirrenden Gläsern entströmt. So geht das.

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