Montag, 20. April 2009

Aus dem Leben von Bike Velonidas

Voller Vorfreude stürze ich nach Hause, schraube ein, zwei losegerüttelte Schrauben an meinem heissgeliebten Rad etwas fester, und trage es einmal mehr die lange Treppe von meiner Dachwohnung zur Strasse hinaus, vorsichtig bedacht, mit meinen Schuhen bei der offenbar nervenbelasteten Nachbarin (Beispielbegrüssung 1: "Achhallosiesindderdersolautdietreppeherunterkommt!" – "Mir geht es auch gut, danke." ;) ) im EG so leise wie möglich vorbeizutrippeln. Schon einmal mit Veloschuhen getrippelt? Ich erwartete schon Japaner, die, die Hände in die Luft gereckt, schreiend davonrennen, ein "Goooo-ZILLAAAA" auf den zitternd bebenden Lippen.

Ein erster Glücksmoment überkommt mich, als ich das Strassenlabyrinth Schwamendingens, Dübendorfs lebend hinter mir lasse, ebenso den als Fällandadreieck verschriener Kreisel, der trotz seines Übernamens so rund ist, dass sich wohl des öfteren Geometrielehrer dort einfinden, um die Kreisatur des Dreiecks unter Tränen zu preisen.

Kurz nach dem Erreichen meiner Höchstgeschwindigkeit (die Waden glühen, die Lefzen schaumen), erreicht etwas, was "weisse, brünftige Gottesanbeterin" genannt werden könnte, meinen Augwinkel. Extremitäten wedeln elegant durch die Luft. Ich überquere die Strasse, um in den hügeligen Teil um den Greifensee einzubiegen und beschleunige noch ein Bisschen. Nach einer Minute bemerke ich das weisse Ding, welches sich mir nichts dir nichts an meinen Sattel geklebt hat, und gucke es mir genauer an: Ein Skater! Drahtiges, sehniges Gleiten.

Ich gebe Gas. Er auch. Noch immer dieses nervenaufreibende Wedeln der weissen Arme. Ich gebe mehr Gas. Die Arme. Kübler-Ross in 2 Minuten: "Denial: Das kann nicht sein. Doch. Anger: Warum ich? Zufall. Bargaining: Strampel, Gott aller Radfahrer, straffe meine Waden! Immer noch da. Depression: Pfffrt. Akzeptanz: Hm, eigentlich nicht schlecht." Irgendwie beginnt es mir zu gefallen! Zwar gleitet schon fast die Lungenspitze über die schon längst auf dem Lenker zu liegen gekommene Zunge (leicht geschwärzt, lieber Raucher), aber dieses Brennen erinnert mich daran, was es bedeutet, aus dem Vollen zu schöpfen. Ich atme tief ein. Da sind sie immer noch, diese wedelnden weissen Arme. Ich konzentriere mich, den perfekten Windschatten des Jahres für diesen Supersportler zu liefern. Aus dem Weg, liebe Freizeitsportler: Hier walzt eine Gottheit um den See: Wir sind Kali, vielarmige Göttin des Todes und Verderbens. Gnadenlos überholen wir alle und alles. Eine verrückte Sekunde lang überlege ich mir, die Ausfahrt zur Überlandstrasse, schliesslich zur Autobahn zu nehmen. Das Einzige, was mich in diesem Moment zurückhält, ist die fehlende Autobahnvignette ;)

Wir rasen weiter, weiter bis zum Horizont, bis uns schliesslich zu früh, viel zu früh der Weg entzweit und ich mich mit einem knappen Wink und einem idiotischen "Tschüssi" verabschiede, eine Peinlichkeit, welche ich mir sonst ausschliesslich für Dates mit gutaussehenden Frauen aufspare.

Abrupt der Arme verlustig gegangen, bin ich wieder Flöre. Flöre mit glühenden Waden, welche nach Kalorien gieren, ein schnaufendes Etwas auf Draht, ein Halbgott des halbpatzigen Velölen. Aber gebt mir einen Skater, und ich fahre ans Ende der Welt – und wieder zurück.