Mittwoch, 22. Juni 2011

Melbourne II – der alte Mann.

Als Erstes möchte hier jemand Verwandtem alles Gute und eine ganz gute Genesung wünschen! :)

Von einem Sportfilmfestival – unter anderem mit Ueli Steck – zurückkehrend, ergreift mich der rasende Hunger. Kaum habe ich Sumukh, Guy und Gintarė zum Abschied gewinkt, gurgelt mir mein Magen vorwurfsvoll ein unverkennbares Hungersignal. (Ja, "jemandem etwas gurgeln" ist ein fachmedizinischer Begriff ;) ) Er verlangt nach Fleisch. Und obwohl ich diese Tage oft an anderes denke, ergreift dieser Wunsch von meinem Kopf Besitz und lässt ihn nicht mehr los. Das Ziel ist schnell gefunden, ein "Grill'd" fast um die Ecke. Grill'd ist eine Burgerkette, die aber im Gegensatz zu McDonalds und Konsorte auf edle Zutaten und Qualität setzt, und sich ausserdem um die Umgebung kümmert. So etwas unterstütze ich gerne.

Da mir aber gar nichts an den Chips (Friets) liegt, und auch nicht an dem Brötchen, das sich zwar sicher ganz knusprig und genüsslich gibt, aber dessen Fleischgehalt zirka bei 0,01% liegt, frage ich nach, ob ich auch "einen Burger ohne Chips" haben kann. "Sure." Ohne gar nichts? "Without salad?" Ja. "Without tomatoes?" Ja … ihr dämmert es langsam: "Without anything, just the patty?" "Yes…", sage ich, das Wasser im Mund zusammenlaufend, "is that possible?".
Eine halbe Minute später sitze ich mit einem dieser Bestellzahlengestelle an meinem Platz. Schon beim Eintreten fällt mir ein alter Mann auf, der gerade seinen Hamburger bekommt. Als ich warte, stehle ich mir ab und zu einen Blick zu ihm herüber. Noch beisst er nicht hinein. Nein, er wartet, die Hände gefaltet, blickt mit wehmütigen Augen den kunstvoll aufgeschichteten Hamburger vor ihm an, den Grill'd Standardburger. Der Mann sieht etwas verwahrlost aus, sein T-Shirt hängt über seinen Körper, ein grosser Bart bedeckt sein rundes Kinn. Selten aber habe ich freundlichere Augen gesehen.

Ich habe es vermutlich schon viermal erwähnt, aber ich bekomme immer Mitleid mit alten Männern mit Bart. Woher das kommt, ist mir schleierhaft, vermute aber, dass ich als Kind einfach zu oft das fantastische Zwergenbuch gelesen habe. Andere fallen in den Zaubertrank, ich lese ein Buch zu oft. Und so hat ein jeder eine Superkraft. Und als ich ihn so superkräftig mitleiderfüllt ansehe, merke ich plötzlich, dass er mich ansieht. Einem ersten Reflex, wegzusehen, nicht folgend, drücke ich beide Augen zu und nicke kurz. Er nickt ebenfalls und wendet sich wieder seinem Burger zu, dem er sorgfältig den brotenen Deckel entfernt, zur Seite legt, und ihn bedächtig in Teile zerschneidet, die er langsam und ruhig kauend, eins ums andere vertilgt.

Hinter dem Tresen lachen sich die Teenager, die das Fleisch zubereiten, gegenseitig lauthals zu. Vielleicht gibt es andere Grill'd, aber in diesem an der Lygon Street ist die Bedienung stets fröhlich und gut gelaunt. Immer ein gutes Zeichen: Zieht die Bedienung einen Flunsch, kann es gut sein, dass das Essen auch nicht so gut wird. Eine glückliche Bedienung heisst oft auch gutes Essen. Und wenn die Regel nicht stimmt, so glaube ich wenigstens daran. Für mich allerdings bedeutet diese Glücklichkeit, dass es mit dem Essen noch länger dauert.

Mein Magen meldet sich schon wieder. Für ihn ist es ja einfach, muss nur warten, bis das Gehirn die Beine schwungvoll den Gang einlegen lässt, um schliesslich die Hand zum Geldbeutel zu führen und die gewünschte Ware durch den Schlund in Empfang zu nehmen. Als Reaktion auf den Magen wende ich meinen Blick wieder gen links, wo der alte Mann, sich die Lippen langsam mit einem Taschentuch abtupft, bereits durch die Schichtung beim Fleisch angekommen ist. Beim Fleisch, das immer noch nicht vor mir steht. Wieder bemerkt er mich, blickt kurz auf die leere Stelle vor mir, wo eigentlich ein Teller stehen sollte, blickt zu mir auf.

Und zuckt mitleidig mit den Schultern und wendet sich wieder seinem Fleisch zu. Schmunzelnd stütze ich meinen Kopf auf dem rechten Arm auf und denke an diese Stunde um 11 Uhr Abends, an der solche magischen Mimenspiele möglich sind.


… und jetzt, an meinem Pult sitzend, fehlt mir doch das Brötchen, das ich mir aber schon bald beim Beck um die Ecke holen werde. Sobald es mir mein Magen befiehlt.

Falls es aber so weitergeht, gurgel ich ihm bald etwas! ;)

Sonntag, 19. Juni 2011

Melbourne I

Mit einem leichten Schock werfe ich einen Blick auf das Datum des letzten Eintrags: Bereits zwei Monate sind vergangen, seit ich hier angekommen bin!

Viel ist seither passiert – bereits quer durch die südöstliche Ecke des Kontinents gekurvt, mit Rädern in unterschiedlichem Zustand über das was man hier "Radweg" nennt geholpert, und mir ein neues Hobby, Klettern, angeeignet. Nebenher mich durch die Administration der Universität gehangelt. Von Liane zu Liane, diverse Affen angetroffen ;) – aber auch etliche hilfreiche und liebenswürdige Leute.

Ich weiss gar nicht, wo ich beginnen soll. Nur schon die Adjektive der ersten zwei Monate aufzulisten, würde eine Monitorseite füllen. Spannend, ja, interessant, ja, abenteuerlich, sicher, aber auch stressig, in der Tat, oder schlaflos, das auch.

Als erstes quartiere ich mich im Future Hotel ein – eine Jugendherberge, die laut Webseite "eben erst gerade frisch renoviert wurde", inklusive Kino, Bar, und Sportzentrum. Und das für nur 28 Dollar pro Nacht! Als geborener Optimist und glücklich, so einen guten Fang gemacht zu haben, reserviere ich gleich 17 Nächte darin. Zu einem gar kurzen Glücksgefühl kommt später frei Haus noch ein grösserer Lerneffekt dazu: Die Webseite wurde nämlich in der Zukunft geschrieben. Zwar wurden im Kino sehr bequeme Stühle montiert, und sie zeigen auch alle zum Glück in die richtige Richtung, aber dennoch fehlen entscheidende Komponenten: Die Leinwand und die sich bewegenden Bilder. Die Bar wird in groben Zügen durch einen Hohlraum im ersten Stock umrissen, so dass man das Gelächter und die klirrenden Gläser gut erahnen kann. Am vollständigsten gibt sich der Kraftraum. Die meisten Geräte sind zu 90% fertiggestellt, es fehlt oft nur der Sitz. Der Preis für das vollständigste Gerät geht aber an die Brustpresse, bei der eigentlich nur das kleine Metallteil fehlt, mit dem man das Gewicht einstellt. Und so quäle ich mich (mental) durch mein langweiligstes Krafttraining: 250 Wiederholungen à 2,5kg.

Im Viererzimmer lerne ich einige interessante Charaktere kennen: Der deutsche Anwalt, der einfach mal so nach Australien gekommen ist, und Tag und Nacht nach einer Wohnung in Melbourne sucht. Damals belächle ich ihn ein Bisschen, denkend, dass es doch nicht so schwer sein könne, eine Wohnung zu finden. Fast fällt er auf einen hier alten Trick herein: Eine sehr nette Anwältin, die nach London gezogen ist und eine unglaublich tolle Wohnung in der Mitte von Melbourne besitzt. Leider kann man sie nicht ansehen gehen, dafür aber kostet sie nur 700 Australische Dollar pro Monat, was ziemlich genau 700 Schweizer Franken entspricht. Zwei Monatsraten sind fällig, auf einen etwas dubiosen Service. Nach einiger Nachforschung finden wir heraus (Bildähnlichkeitssuche), dass das Logo ihres Anwaltsbüros von einer anderen Australischen Kanzlei gestohlen ist, genau so der Name – und alle Unterschriften sind gefälscht. Wir machen uns natürlich die nächsten 5 Tage einen Spass daraus, immer faaast einer Geldüberweisung zuzustimmen.
Oder der Chinese, der entgegen den Wünschen seiner Eltern nicht Buchhaltung studieren will, sondern Literatur, und daher fast die ganze Zeit frustriert im Zimmer sitzt. Als er sich an Abend vor seiner Rückreise beklagt, dass man hier in Melbourne kein gutes asiatisches Essen finden kann, staune ich ihn nur entgeistert an. Minutenlang, will ich fast schreiben, denn es fühlte sich so an. Es folgt ein lustiger Abend im hiesigen Chinatown mit einem dankbaren Chinesen.
Eine Beschreibung des jungen Australischen Pärchen bleibt euch leider vorbehalten, da ich nicht viel mehr dazu sagen kann, als dass dessen Hobby darin bestand, mich kichernd mit rhythmischem Schütteln des Etagenbetts in den Schlaf zu wiegen.
Ein Schlaf, der, so unterhaltsam er oft umrahmt ist, jeweils auch ziemlich seicht und kurz bleibt, da um 6 Uhr 30 die lautstarken Bemühungen beginnen, das Hotel der Webseite anzugleichen. Ich geniesse aber die menschenleeren Morgen, die ich oft mit einer riesengrossen Tasse Milchkaffee in der italienischen Bar in der Nähe verbringe. Nach zwei Wochen im Future Hotel wechsle ich ins Graduate House.

Nach einiger Zeit am neuen Wohnort holt die Realität die Webseite ein und mit einem müden Blick beäuge ich letztens den ehemaligen Hohlraum, aus dem nun Gelächter und das Geräusch von klirrenden Gläsern entströmt. So geht das.

Mittwoch, 6. April 2011

Reise nach Melbourne

Nach einem kurzen aber schönen Abschied (Danke!) mit der Ergon Clique, meiner Schwester, und last but not least Conni geht es los: Als erstes nach Amsterdam/Schiphol.

Schiphol ist für mich der benutzerfreundlichste Flughafen – das heisst, je nachdem. Finden tut man alles, und zwar sofort. Alle Tafeln sind gross angeschrieben und von weitem sichtbar. Sogar die Karten sind immer so gedreht, dass oben auf der Karte immer die Richtung nach vorn angibt. Wanderfreunde und Marathonläufer sind auch bestens bedient. Mittels gelber Wandertafeln wird die benötigte Laufzeit von hier zum Terminal soundso angegeben. Bei mir, von Terminal B nach G sind es nur unwesentlich nennenswerte 25 Minuten. Zwar startet man frisch fröhlich mit der typisch modernen Reisestellung – ein Arm nach hinten zum Reiseköfferchen, der andere Arm angewinkelt, in der Hand der Pass mit Boarding Card, auf dem Ellbogen die Jacke. Nach einem anfänglich beschwingten Gang, vorbei an zahlreichen Goudas und Holzschuhminiaturen setzt allmählich die Ernüchterung ein. Zum einen, dass der rauhe Boden für Rollköfferchen nur zu ungeeignet, zum anderen dass das dauernde Röhren, das der rauhe Boden und das Rollköfferchen zum Besten geben nur kur kurz das Musikgehör beglücken mag.

Jedenfalls kommt nach 20 Minuten sicher schon zum zweiten Mal der Gedanke, warum man nicht einfach direkt in Richtung Hong Kong losgelaufen sei – dann wäre man wenigstens schon dort.

Im Flugzeug freue ich mich wie ein kleiner Junge auf die fabelhaften (so die Webseite der KLM) Economy Comfort Sitze – und sie halten, was sie versprechen: Mehr Beinfreiheit – ca. 20 cm, leicht breiterer Sitz – 3 cm. Das mag sich nach wenig anhören, aber für ein Vehikel wie ich eines bin sind es Welten.

Neben mir finden sich ein Geschäftsmann aus dem Zielort und dessen Frau, die sich eine Gesichtsmaske umgebunden hatte. Nicht aus kosmetischen Gründen wie ich später feststelle, sondern wegen den bösen "Germs", wobei ich immer noch nicht sicher bin, ob sie die Umwelt vor sich, oder sich von der Umwelt schützen will. Bei Asiatinnen, auch in Melbourne, scheint der gegenseitige Austausch von Bakterien ohnehin noch zum guten Ton zu gehören, wenden sie sich doch schlagartig ab, mit einem "nyääää" auf den Lippen, sollte man mal bei einem Huster mit nur 99%-iger Sicherheit die Hand vor den Mund zu halten. (Nebenbemerkung: Unser Körper beherbergt ca. 1-2 kg Bakterien)

Apropos Ton, ausserordentlich beliebt am Flughafen von Hong Kong! Fröhlich wird genüsslich gerülpst, gepupst, und – obwohl unmöglich – laut uriniert. Auf eine Wiedergabe des Spektakels verzichte ich, ist es doch in eurer Fantasie bereits genug grotesk.

Da der Geschäftsmann eine andere Vorstellung von "Comfort" hat als ich – seine Vorstellung besteht darin, dass Arme des Sitznachbarn als Wärmekissen zur Armablage zur Verfügung stehen – wechsle ich den Sitz, um in einer fast leeren 3er Reihe Platz zu nehmen. Am Fenster ein sehr adrett gekleideter Mann, der wie ein Englischer Lord aussieht: Anzug, Fliege, Schnauz und eine Folge von wichtigen Zeitungen. Seine Contenance beginnt jedoch bereits nach dem Abflug zu bröckeln, als er den Lichtschalter betätigen möchte, und dies per heftigem Schrauben am Licht selbst tun möchte. Ich erkläre ihm, dass der kleine Schalter in der Armstütze dasselbe Ziel viel schneller und bequemer in drückbare Nähe bringt. Nach weiteren Vorfällen – er erschrickt zum Beispiel jedesmal grausam, wenn er nach "Coffee or Tea" gefragt wird – frage ich mich, ob er nicht wohl eigentlich in die Kutsche von Ribbenthorpe nach Worcestershire steigen wollte.

Der brandneue Hongkonger Flughafen hält die eine oder andere bestaunenswerte Überraschung bereit. Zum Beispiel rollt man auf einem Laufband langsam auf eine Reihe bemundschutzter Asiatinnen zu, neben ihnen ein Schild: "Please remove hat for temperature control". Ich grinse. Sicher wieder mal ein Fall von "Engrish", oder hier wohl "Chengrish", eine Fehlübersetzung von "Please present your boarding card." Als ich sie passiere, sehe ich aber, dass sie per Wärmekamera die Temperatur des Kopfs prüfen, welcher beim Mann hinter mir rot aufleuchtet.

Als ich mich zum zweiten Mal umdrehe, ist der Mann samt Hut verschwunden.

Kuriositäten: Etwa 50% der Werbungen beinhalten irgendeine Form von Kung Fu/Magie Film, bei dem die halbe Welt in Staubform aufgewirbelt wird. Der Papierspender auf dem Klo ist so angebracht, dass selbst ich mit meinen 1.90 m ihn nur knapp erreichen kann. Sprungtraining für Asiaten?

Da ich auf dem Flug nach Melbourne dann kaum schlafen kann, unterhalte ich mich mit der ca. 50-jährigen Schottin neben mir und lande schliesslich kurz vor 6 Uhr morgens in Melbourne, um dann den ganzen Tag gegen den Jetlag zu kämpfen. So heroisch wie möglich. Als ich mich aber im Unipark wiederfinde, gebe ich auf und schlafe 2 Stunden.

In der Nacht dann pure Action: Etwa um 12 Uhr rasselt die scheinbar über meiner Tür angebrachte Feuerglocke los und als ich in Unterwäsche aus dem Hotel torkle, werde ich von den australisch reinstürmenden Feuerwehrmännern beinahe überrannt. Draussen auf der anderen Strassenseite etliche Hotelgäste, die mich bestaunen, bzw. meine Unterwäsche, die sicher in den 80er Jahren mal total Mode war und von Filmstars beworben wurde. Nach 20 Minuten die Entwarnung: Jemand brauchte einfach eine kleine Zigarette. Zur Beruhigung. Oh ja. Eine rauchen und abchillen. Einfach in aller Ruhe mal zurücklehnen und … RRRRRRINGGGGGG!

Übrigens, australisch reinstürmen bedeutet "locker und mit einem Spruch auf den Lippen reinschlendern". So sind sie halt.

Dienstag, 6. Juli 2010

Stockholm

Zwei Prozent der Weltbevölkerung sind naturblond. Florian Hanke hat sich im Juni 2010 mit Machete und Kreditkarte in den Norden aufgemacht, selbige zu finden. Ergebnis: Sie verstecken sich in Dänemark und Schweden. Äh ja *räusper*

Noch etwas unsicher bezüglich meiner Schwedischkenntnisse spreche ich den Kioskverkäufer in Malmö auf Englisch an. Ich kaufe eine, nein drei dieser genialen Vanilleglace-Sandwiches, welche hier überall, in der Schweiz nur im Coop erhältlich sind. Der Verkäufer lässt mich leicht skeptisch zurück, spricht er mich doch immer mit einem "Yes, Sir!" oder "Of course, Sir!" an. Ich erinnere mich aber an J. Vogel, was mich etwas beruhigt. Wenn man in einem Fussballklub Deutsch lernen kann, so kann man sich sicher auch per Gefängnisfernsehserie Englisch beibringen. Yes, siree.

Nach wenigen Minuten gleitet der X2000 auf Gleis 8 in den im Umbau begriffenen Bahnhof Malmö ein. Ein wunderbares Gefährt, das zwar nicht die Annehmlichkeiten eines ICEs für den modernen Stadtnomaden bietet, aber durchwegs in den typisch schwedischen Farben (blau, weiss und holz) gestaltet ist und man sich auch gleich wohl fühlt. Man vermisst fast kleine blaue Vorhänge an den Fenstern.

Auf meinem Platz – der Zug ist ansonsten nur spärlich gefüllt – findet sich ein älterer Herr wieder. Ich quacke ihn natürlich gleich höflich und geschliffen an: "Det är min plats" [alle Zitate sic], worauf er in Bestem Swenglish antwortet: "Let's see how it fills up." Ich mag ihn sofort und so tratschen wir ein Bisschen. Später gesellt sich noch ein weiterer älterer Herr dazu, diesmal inklusive Bart und ruhiger Art. Ich spendiere ihnen – wie so oft – einen Kaffee. (Sie hatten zwar grade einen, aber nehmen gern nochmals einen, dazu später)

Beim Bestellen – auf Schwedisch! *jubel* – fällt mir erneut auf wie höflich alle sind. Dies scheint sich durch ganz Skandinavien zu ziehen wie mir versichert wird. Tatsächlich, schon in Kopenhagen dämmert mir, dass man sich hier gerne und oft bedankt. Schon bei einer Bitte wird immer "tak" angehängt, also "en kopp kaffee, tak" und dann gerne nochmals beim Entgegennehmen. Kurioserweise sagt man hier mittels des zusammengesetzten Worts "varsågod" bitte, als Antwort auf danke. Ich war erst überzeugt, dass ich das bei einer Bitte sagen müsste, analog zu unserem "wärschsoguet" (quasi identisch ausgesprochen, das "rs" wird als "rsch" intoniert)

Als Faustregel gilt: Immer bedanken! Alle bedanken sich fast permanent, für alles. Man ertappt sich fast dabei, sich für den Sauerstoff zu bedanken, den man hier aus der Luft stibitzt.

Ein weiterer erster Eindruck vermittelt auch das ganzseitige Inserat für das "Woodworking Magazine – new issue out now!".

Lustige (rolig) Wörter findet man hier überall. Was könnten folgende Wörter bedeuten?

- stickkontakt

- strax

- skivspelare

- fyrkantig

- frukost

Die Übersetzungen:

- Steckdose

- schnell

- Plattenspieler

- viereckig

- Frühstück

Alle erkannt? Oft habe ich das Gefühl, dass Schweizerdeutsch und Schwedisch einige altmodisch scheinende Ausdrücke sich teilen. Als kleines Beispiel "hurtig" – "jetzt abär hurtig", heisst hier genau dasselbe, nämlich "geschwind", schnell. "strax" erkennt man auch wieder, im deutschen "schnurstracks".

Die Fahrt dauert geschlagene 5 Stunden und führt uns durch eine Abfolge von Seen, Häuschen, Wälder, Wälder, Seen, Wälder. Schön(,) weitläufig.

Am ersten Tag zieht es mich direkt in die Gamla Stan (die alte Stadt, d.h. "Gamla Sta(de)n"). Die kleine Insel, auf der sich zu einer Zeit, in der bereits 200'000 Menschen sich in London durch die Strassen zwängten, noch 10'000 Menschen hausten. Mehr ginge auch fast nicht, denkt man sich, wenn man durch die kleine Insel wandelt. Die Strassen sind 5 Meter breit, eingeklemmt zwischen 4-5 stöckigen Häusern, aus denen Abendgespräche durch die Schluchten hallen. Fast fühlt man sich in die Renaissance versetzt und kann gut nachfühlen wie es hier wohl gewesen sein muss, damals. Mit dem einzigen Unterschied wohl, dass die Kanalisation heutzutage unterirdisch geführt wird. Zum Glück, fällt doch mein linker Schuh fast auseinander.

Schliesslich ende ich vor einem kleinen Restaurant, auf der äusseren Fenstersitzbank, mit Blick auf die Strasse. Nach einer Vorspeise aus verschieden zubereiteten Heringen (köstlich!) geniesse ich einen eingelegten Fisch (ebenso köstlich), dazu ein folköl, ein Volksbier, also mittelstark. (lättöl = Leichtbier, starköl = normales Bier).

Apropos Volk. Essen in Schweden scheint ein Volkssport zu sein. Nach dem frukost gibt man sich dem lunch hin. Dann dem middag. Abendessen? Natürlich. Und damit man dazwischen ja nicht verhungert, gibts mellanmål, also Zwischenmahlzeiten.

Ich stürze mich förmlich, also eigentlich unförmlich (daher nun unförmig) auf die hier überall erhältliche "svensk husmanskost". Also Heringe, Köttbullar (Fleischkugeln mit Lingonbeeren, sauren Salatgurkenscheiben und Kartoffelstock) usw. usf. Am Besten gefällt mir des Namens wegen, "Janssons frestele", also "Janssons Versuchung", ein Auflauf aus Kartoffeln und salzigen Fischchen.

Doch zurück zum ersten Abend. Da ich alle(s) und jede(n) anrede, komme ich in ein reges Gespräch mit Anders und Ann-Kristina. Ein Ehepaar. Er besitzt eine Stahlverarbeitungsfirma und sie eine Tankstelle. Ich gewinne sofort Punkte, als ich den Slangbegriff für Tankstelle hervorzaubern kann: "mock". Ha! Wir unterhalten uns über … na eigentlich alles. Sie leeren Jägermeister um Jägermeister, mit dem Ziel, sich etwas aufzuwecken nach einem langen Besichtigungstag. Ihre Taktik scheint nach hinten loszugehen. Sie versichern mir aber, dass es bei ihnen normalerweise funktioniert. Mir persönlich empfehlen sie, den hier üblichen Vodka auszuprobieren. Dieser Schuss geht zwar nach vorne los, hat sich aber am nächsten Morgen wundersamerweise in einen Bumerang verwandelt.

Nach einem Emailtausch und der kurzen mentalen Notiz, dass Gamla Stan an meinem Portemonnaie zehrt (wie die ganzen Ferien), stolpere ich den Abend geniessend nach Hause.

Am nächsten Tag gehe ich snurstrax zur Vasa, dem grossen Kriegsschiff, das der kriegslustige damalige Schwedische König bauen liess, zusammen mit drei anderen. An der Vasa ist speziell, dass sie sich beim Beladen des Ballasts (160 Tonnen Steine) leicht verkalkulieren und das wunderschön verzierte Schiff gleich nach der ersten Kurve zwar elegant in die Kurve liegt, dabei sich aber durch die Kanonenluken an einer grösseren Menge Wasser verschluckt, zusammen mit 50 Crewmitgliedern.

Bis ca. 1950 gerät das Schiff in Vergessenheit, bis ein faszinierter Hobbyist nach ihr sucht und sie tatsächlich findet. Das brackige Wasser von Stockholm verhindert effektiv, dass sich der sonst in Salzwasser vorkommende holzfressende Wurm an dem schönen Schiff vergeht. Anfangs der 60er Jahre wird sie schliesslich aufwendigst gehoben (nicht so einfach, wir reden von 500 Tonnen).

Nach 3,5 Stunden finden mich die Sicherheitskräfte und bugsieren mich aus dem der Erhaltung des Schiffs dienenden klimatisierten (tiefgekühlten) Raum.

Danach gönne ich mir mal wieder Köttbullar und einen Kaffee in Gamla Stan, nicht ohne mit der Besitzerin ein paar Worte gewechselt zu haben. Auf Schwedisch und Englisch, und Schweutsch (ein paar Worterfindungen fliessen ein, was sie laut lachend quittiert).

Sie merkt an, dass meine Aussprache fast schon perfekt sei, wenn auch die Wörter fehlten. Mir fällt dafür auf, dass es nicht immer so hilfreich ist, wenn die Aussprache dem Wortwissen voraus ist. Manchmal scheint mir, dass sich die Menschen, an denen ich mein Schwedisch ausprobiere, sich leicht verhohnepipelt fühlen. Oder vielleicht ist das auch die normale Reaktion darauf, wenn ein Fremder die eigene, schöne Sprache verunstaltet, und dabei breit grinst – manchmal auch plötzlich in Schweiss ausbricht *splosch*.

Ebenfalls erzählt sie mir, dass Stockholm im Winter grausam langweilig, nur im Sommer bewohnenswert sei. (Das wiederholen eigentlich alle hier)

Nach gefühlten 20 Kilometer Fussmarsch schleppe ich mich nach Hause und gucke den zweiten Teil der Salander Trilogie, welche durch die Kenntnis der Strassen Stockholms noch an Spannung gewinnt.

Der nächste Tag ist dem Rad gewidmet, d.h. zuvor dem monströsen frukostsbuffet und den 5 Neuseeländern (Bauern von "'small' farms", also "just 1000 acres") am Tisch, mit denen ich die ulkigsten Diskussionen haben.

Mit schockgeweitet tellergrossen Augen erzählen sie mir, wie viele Leute hier rauchen würden. (Einen Tag zuvor fällt mir auf, wie wenig Leute hier rauchen). Ich frage sie, wohin sie als nächstes Reisen würden. Als sie mir mit "Paris" antworten, kann ich es nicht verkneifen, dass der Kauf einer Gasmaske nun angebracht wäre.

Zwar meinen sie alle, dass Neuseeländer eigentlich grundsätzlich die Australisch - Neuseeländerische Rivalität ignorieren, geben dann aber kurz darauf etliche Witze zum Besten, die eigentlich alle auf dem folgenden Ur"witz" beruhen: "We came because we wanted to. They came because they had to."

Danach gehts los. Kein Rennvelo, sondern einen Cruiser leiste ich mir. Dabei handelt es sich um ein Velo, dessen Konstruktion folgenden zwei Maximen untersteht:

  1. Der Fahrer muss cool aussehen.
  2. Möglichst viel Energie muss vernichtet werden.

Mein Exemplar erfüllt den zweiten Punkt blendend, während Punkt 1 sehr subjektiv gelöst wurde. Sollten Sie, geneigte Leserin, auf stocksteif senkrecht aufgerichteten Fahrer mit O-Beinen stehen, so dürfen Sie Punkt 1 als erfüllt ansehen.

Noch vor den ersten Erfahrungen mit dem Rad nehme ich mir einen Punkt 10 Kilometer im Osten als Ziel vor. Ein Naturschutzgebiet, das schwedischer nicht sein könnte: Rote Holzhäuser, Pferde, Seen, Felsen. Fünf Kilometer lasse ich mich rollen. Es fühlt sich perfekt an. Das "Easy Rider"-artige Gefährt ist schwer steuerbar, dafür kann man es richtig geniessen, den Berg runterzurollen. Eine Stimmung, die man nur mit dem amerikanischen Ausdruck "laid back" ausdrücken kann, stellt sich ein. Geflissentlich ignoriere ich die Schreie des Gehirnteils, welcher sich ausschliesslich mit der Evaluation der Zukunft beschäftigt. Denn was lange fährt, wird ewig hochfahren (müssen).

Als ich dann bebenden Rades senkrecht zum "Strand" von Stockholm runterdüse, dämmert mir langsam, dass es eventuell von Vorteil hätte sein können, ab und zu einen Blick auf die Karte zu werfen. Führt doch der einzige Weg vom Strand Weg wieder denselben hoch. Etwa zu diesem Zeitpunkt gibt der erste Gang den Geist auf. Zurück bleiben Mr. Mittelgang (5 Meter pro Umdrehung) und Mr. Cruise Mode (10 Meter pro Umdrehung).

Zweifelnd betrachte ich die fast senkrechte Strasse und rufe schliesslich den Gott der Radfahrer um Hilfe an. Und siehe da, in just dem Moment joggt eine hübsche Schwedin um die Ecke, den Berg hoch. Schwitzend danke ich dem Radgott und versuche die galeerenartigen Bum-Bam Geräusche meines Herzens zu überhören.

Der Naturschutzpark übertrifft meine Erwartungen bei Weitem. Ebenso mache ich die Erfahrung, dass hohe Geschwindigkeiten plus Vorderradbremse, plus Kieswege, plus sensationell niedrige Handlingwerte eines Cruiserrads jede Erwartung bezüglich der Schwere eines Unfalls übertrifft.

Nach einem weiteren Missachten der Karte (lerne ich je?) finde ich mich erneut an einem Strand wieder, diesmal mit einem kleinen schaurigst zerfallenen Häuschen vor mir, und einem dunklen steilen Waldweg hinter mir. Mit den Bildern vom Salanderfilm im Hinterkopf rase ich quasi den Weg wieder hoch, zurück in Sicherheit.

Der Weg zurück (wir erinnern uns: 5km hoch) wird begleitet von chronischem Gefluche und meinem Hinterkopf: "Ich habs Dir doch gesagt. Du hörst nie auf mich!"

Zu middag wieder mal Köttbullar (mjammmmm!), und einen cider äpple, der mich den ganzen Nachmittag Kurven fahren lässt. Schliesslich helfe ich noch ein paar Talinnerinnen zu ihrem Schiff, kaufe bei einer Polin Erdbeeren (sie glaubt mir nicht, dass ich in Krakau gewesen sei – warum ist mir immer noch schleierhaft) und: Ein weiterer cider. Das Handling des Cruisers verbessert sich merkwürdigerweise immer mehr.

Ein Thema noch zum Schluss:

Kaffee. Kaffee ist hier allgegenwärtig. Alle trinken Kaffee, immer. Es gibt zum lunch automatisch Kaffee (wie auch Salat und Beilagen). Kaffee darf man gratis nachfüllen. Zum Zeitpunkt, an dem ich diese Zeielen schereibe, flirsen middestenens funf Kaffes immeinem Bloet. Hagagagagagagagagga *bzzz*

Falls je ein Rucksack erfunden wird, welche dem Träger bequem intravenös Koffein zuführt, dann würde ich wetten, dass dieser von einem Konsortium aus Volvo, IKEA und ABBA entwickelt worden sein wird. "En kopp kaffee med mjölk, tak" Skol!

Freitag, 2. Juli 2010

København

Vor der Abfahrt in Hamburg bemerkt die Billetverkäuferin, dass der Zug etwas voll sein könne. Kein Scherz – alle Plätze sind ausgebucht, ich knülle mich zusammen, und werfe mich in die Ecke neben der älteren Dame und den Spanischen Punks, welche sich aus was immer für Gründen* dafür entschieden haben, nach Kopenhagen zu fahren.

Zusammen mit der älteren Dame, eine deutsche Witwe, welche ihre Schwester in Puttgarden besucht, mache ich mich über die deutsche Bahn lustig. Als ich anmerke, dass obwohl sie wissen, dass so viele Leute nach Kopenhagen fahren wollen, sie den Zug doch nicht länger machen, bleibt sie verdächtig still und staunt mich an: "Aber dann würd der Zug doch nich' mejhr auf die Fähre passen!"

Aha. Klar. Wie … bitte? Fähre?! Die Brücke zwischen Deutschland und Dänemark, von deren baldigem Baubeginn ich vor 2-3 Monaten gelesen hatte, ist also immer noch nicht fertig! ;)

Als die Erkenntnis, dass sich dieser ganze Zug bald komplett auf einer Fähre wiederfinden würde, einsickert, finde ich mich in einem Zustand wieder, der auch ohne Spange über dem schiefen Gebiss eines 14-jährigen fast perfekt wäre: Leuchtende Augen, euphorisches Umherblicken, Grenzsabbern in den Mundwinkeln.

Und so ist es auch. Wir verschwinden im Bauch einer 5-stöckigen Fähre spezieller Ausmasse. Ein Kurzbeschrieb: Man könnte sie mit Hilfe eines einzelnen Legosteins nachbauen.

Toll auch, nebenbei: Ich kann mein Spanisch an den Punks ausprobieren. Auch um sie zum Aufstehen zu bewegen, als sie den Weg versperren, weil sie als einzige nicht gehört haben, dass auf der Überfahrt alle aussteigen müssen. "Levanta-se, temos que salir el tren!" (oder so)

Kaum dem Hauptbahnhof Kopenhagens entronnen, erkenne ich die Errungenschaften des modernen Dänemarks: Gratis WLAN mit Internet in den Zügen! Strassen für Fahrräder! Velotaxis mit Elektroantrieb! (So eines hätten wir doch alle gern)

Nochmals: Gratis WLAN/Internet in den Zügen! Wo genau lebe ICH eigentlich? "Ein kleines rückständiges Land in der Mitte Europas widersteht der Zivilisation …"

Weiter gehts in Kurzform:

- 10-stöckige Jugendherberge. Ich im 7. Stock, mit Ausblick auf den Fluss. Ich bin im Zimmer 13. Also ohne Italiener.

- Verdächtig wenig Fisch in den Strassenständen, fast nur Würstchen.

- Kaffee mit Apfelkuchen, einer geöffneten Maracuja und dickem Sauerrahm. Deliziöös!

- Demo für Kampfhunde, gegen Maulkörbe. Würde ich gefragt, antwortete ich, dass ich allergisch gegen Hunde sei. Sie hinterliessen gebissförmige Abdrücke in meinen Lieblingswaden.

- Ich versuche, mich mit meinem Schwedisch durchzuschlagen. Was sich so anfühlt, als würde ich ein Auto vom Rücksitz aus steuern. Mit einem Stock. Also entweder das Gaspedal drücken und bei der nächsten Kurve über die Kante segeln. Oder das Steuer betätigen, dafür so langsam in die Konversation gehen, dass die nächste Kurve gar nie auftaucht.

- 2 Tage je ca. 20km durch Städte gehen: Aua.

- Tivoli: Freizeitpark inmitten der Stadt, mit Achterbahnen usw. Ich kann mich prächtig am Gekreische orientieren.

Tag 2:

- Die Fähre nach Oslo ist bereits ausgebucht. Nur die 700 Euro Suite (eine Augenweide) ist buchbar. Leider zuviel für mich, also morgen doch direkt ab nach Stockholm. Um 8 Uhr morgens. Nur leider ist mein Handy ausgefallen. Ohne Wecker versuchen?

- Heute hat das prächtig geklappt. Um 7 Uhr (beeindruckend, zu welch übermenschlichen Leistungen man in den Ferien fähig ist) mit dem Rad losgedüst.

- Das Rad entspricht dem Familienpanzer Berta von Loriot. Schwer steuerbar und fähig, mittelgrosse Gebäude zu plätten. Ausserdem ist nichts verstellbar. Ich klemme mich irgendwo ins Gestänge.

- Die Meerjungfrau verpasst unser Tête-à-tête. Sie lässt sich entschuldigen, sie sei in Shanghai. Immerhin sind wir kurz per Video verbunden.

- Stadt voller weisser Rosen. Habe ich etwas verpasst? Jedenfalls sehr schön. fast schon kitschig.

- Wie oft kann man eigentlich das Wort "hip" auf einer Stadtkarte verwenden? Ich fahre durch hippe Designerquartier, dann durch das Arbeiterviertel mit seinen hippen Designercafés, und ende schliesslich im hippen Stadtzentrum, gleich neben Christiania mit seinen Hippies. Ich taufe die Stadt neu "Hippenhagen".

So, und heute Abend gibts vermutlich Ausgang, damit ich auch mal das "Fadbier" (der Name lässt wenig Hoffnung aufkommen) probieren kann. Doch erst will ein Wecker gekauft und eine Stadt nochmals quer durchfahren werden :)

*"The migratory patterns of spanish punks during the summer months.", F. R. Hanke, 2011.

Mittwoch, 30. Juni 2010

Hambuuach

Der Arbeit entwische ich etwas früher – ein wildgewordener Index bei TwixTel drohte meine Abfahrt zu verzögern – doch auch diesmal schaffe ich es, eine passende, wenn auch nicht perfekte Lösung zu finden. Falls jemand ansetzt zu meckern, möchte ich doch auf das kleine Loch im Golf von Mexico hinweisen, welches eine Weltmacht vor ernste Probleme stellt.

Um 20:42 holterdipoltert mein edler Nachtzug nach Basel los; "edel" vor allem im Rückblick auf die ausrangierten spanischen U-Bahnzüge, welche nun auf der Linie Zürich - Barcelona ihren Dienst tun und Kinder unter 8 Jahren, Edelgase und besonders Liliputaner aus besonders heissen Gegenden bequem und wohlbehalten an ihr Ziel bringen.

Zwar habe ich aus preislichen Gründen mir immer noch kein 2er Abteil mit Dachfenster und Schampus geleistet, bin aber dem Träumchen immerhin einen Schrittchen nähergekommen: Das flauschige 4er Abteil erwartet mich. Nach 3 schläfrigmachenden Grüntees, einer ruhigen Fahrt und dem darauffolgenden Überfall in Basel durch eine 40-köpfige Segelgruppe der Coopzeitung falle ich in tiefen traumlosen Schlaf. Nicht ganz so schnell, leider – ich frage mich öfters, ob ich die Coopzeitung doch lieber nicht hätte abbestellen sollen, um die resultierenden Verfolgung und den psychologischen Terror zu vermeiden.

Warum ich nicht mit dem möglicherweise billigeren und schnelleren Flugzeug reise, fragt ihr mich? Die kurze Antwort: Das Flugzeug ist mir zu schnell, und zu weit oben. Nicht etwa Flugangst plagt mich, sondern der Wunsch nach einer echten Reise – eine Reise, welche es mir ermöglicht, nach einer Phase der Transition in einem neuen Land anzukommen, und dazwischen die Abstufungen wenigstens teilweise mitzunehmen.

Lernen Sie oft neue Menschen auf einem Flug kennen? Ich auch (fast) nicht. Nicht so im Zug – die Abteile und die Bar sind exzellente Möglichkeiten, neue Leute zu treffen. Auf der Rückfahrt aus Italien lerne ich einen Dachdecker und seine Frau aus Nordostamerika kennen. Und treffe sie ein Jahr später durch unglaublichen Zufall gleich nochmals. Dann einen Künstler, der an alle ABBA Konzerte ging und deren Lieder in jeweils 4 Minuten auf ein Bild zu bannen versuchte. Mit einigem Erfolg, muss ich sagen: Die Bilder sind seicht und eingängig gemalt. Oder auch diesmal, ein junger Franzose, der schnarchfrei (wenigstens er ;) ) mit mir das Abteil teilt. Das spezielle an ihm: Er reist schon so lange, dass er nicht mehr seinen echten Namen nennt, sondern sich mit "Bolo" vorstellt. "Yü know, like the Spaghetti. Evechybodee knows the Spaghetti.", teilt er mir in seinem perfekten Frenglisch mit.

Das erste Mal übrigens, dass ich nicht am ersten Reiseabend eine Frau kennenlerne. Wie Herr Marley uns schon singt, dafür auch keine Tränen.

Als erstes fallen mir die unendlich weiten Kornfelder Norddeutschlands auf, und die Weiten ohne Häuser. Ein Kulturschock für jeden Mittellandbewohner, der es sich gewohnt ist, entweder Häuser, oder auf allen freien Flächen diese Holzgerüste, welche baldige Verhäuserung ankündigen, zu erwarten.

Als zweites grüsst mich der in Deutschland allgegenwärtige "Wortwitz", zum Beispiel: "Zopf oder Kahl" (eine gelungenere Variante für einen Frisör). In Hamburg sind sie etwas derber: "Morgenlatte, 2,90€" Ich bestelle eine, und frage mich dann ob und vor allem wie die Dame hinter der Theke dies denn bewerkstelligen möge. Zu meiner Unterraschung bekomme ich dasselbe wie die Dame neben mir, welche einen Latte Macchiato (oder wie man hier sagt "La-TE Ma-KIA-to") gewünscht hat.

Ist wohl "Moinmoinlatte" der Ausdruck für Anderes?

Der Autor beim Schreiben:

http://www.flickr.com/photos/hanke/4749507963/

Stilvoll schlürft er ein Bier mit Waldmeistersirup.

Meinen vollgepackten Rucksack auf den Hüften balancierend stolpere ich durch die erwachende Stadt und finde mich in einer Bäckerei wieder. Mönströse belegte Brötchen lachen einem hier reichlich aufgetürmt an. Lasziv kräuselt der grüne Salat aus der Seite. Dahinter eine Andeutung, ja ein Hauch Frikadelle bombastischen Ausmasses. Ich kann nicht widerstehen, genausowenig dem frischgepressten Orangensaft, und setze mich neben die zahlreichen Handwerker. In der Schweiz schon mal Handwerker in Cafés gesehen? Hier quasi permanent. Irgendwie gefällts.

Nach dem Ausschlagen eines teuren (später als sehr billig eingestuften) Hotels drehe ich eine Runde durch die edleren Quartiere, einmal "um" die Alster, dann durch die Innenstadt und zum Hafen. Ich fühle mich an London erinnert: Viele billig restaurierte Häuser. Aber auch an Amsterdam: Die roten Radwege zieren jede Strasse und führen oft quer über Fusswege. An jenen Stellen fehlen definitiv Totenköpfe, werde ich doch auch hier wieder schier von einer Oma über den Haufen gefahren. Es tänzelt sich mit einem 12kg Rucksack einfach nicht so leicht auf die Seite.

Fazit zu Hamburg: "Eigentlich ja ganz ok."

Was mir auch immer wieder auffällt, ist, dass beim Reisen einfach viel mehr Dinge vorfallen, mehr Begebenheiten und Möglichkeiten sich präsentieren, wenn man offen für sie ist. Zum Beispiel fährt ein Transportwagen voller Verkehrsschilder an mir vorbei, die Hintertür offen. Ich rufe "Ihre Hintertür steht offen", in perfektem Hochdeutsch. Doch sie fahren weiter. Erst als ein Velofahrer sie in korrektem Hamburgisch anschreit ("Ihr habt eure Tür auf") verstehen sie und korrigieren ihr Missgeschickt lautvoll "Ich dacht' Du hättest die Tür geschlossen". Schade eigentlich. Es hätte mich gewundert, was die nachfolgenden Fahrzeuge mit einem Wald aus Schildern angefangen hätten ;)

Warum eigentlich passieren solche Dinge in Zürich nicht? Oder tun sie es, aber man ist nicht offen dafür? Oder sind wir tatsächlich eine so "geschmierte" Gesellschaft, alles läuft rund?

Der Rest des Tages vergeht im Lernen von Schwedisch und kulinarischen Entdeckungen: (Mehr) Frikadellen, Fish&Chips, Rollmöpse, Matjes. Und nun die Moral der Geschicht: "Rrrrülps!", excusez-moi, ich meine "Smaklig Maltid!" :)

Dienstag, 15. Juni 2010

Game Ooon VI!

Auch der letzte Game Oooooon Event war erneut ein ungebremster Erfolg!

Durch enthemmten Termin-/Freundinnen-/Fussball-/Arbeitsdruck haben wir einige treue Mitgameoner kurzzeitig verloren. Ich hoffe natürlich, dass ihr das nächste Mal wieder dabei seid und bin umso stolzer auf die Teilnehmer dieses Events:

- Jens Christian "jPad" Fischer
- Kaspar "2,5D" Schiess
- Flöre "Chobo" Hanke

Um 18:07 Uhr rasen wir aus den Startblöcken! Jens-Christian ergreift das iPad, welches ihm des enormen Elans wegen aus den Händen zu gleiten droht (Zitat: "Ich könnte jetzt einschlafen") und bringt nach wenigen Minuten seinen Tower Defense Prototyp zum Laufen. Erneut wandern rote Quadrate von links oben nach rechts unten. Nur schneller als auf dem iPhone.

Derweil erklärt Kaspar sein Ziel: "Ein taktischer, rundenbasierter Flugkampfsimulator mit 3D Modellen". Wir fragen uns natürlich alle, was er nach der Implementation des Wettersimulators inkl. Schnee und Regen und der Moralwertsbehandlung der deutschen Piloten im Falle ausgehenden Biers nach 2,5 Stunden mit der letzten halben Stunde noch anfangen soll. JC und ich salutieren und wünschen ihm viel Erfolg auf seinem ambitionierten Weg.

Ich befasse mich mit der ausserst penibel und über Stunden hinweg ausgearbeiteten Story: "Das CERN implodiert in ein Schwarzes Loch und reisst Sofas und Babys in seinen Schlund, während 3 unterschiedlich gefärbte Wissenschaftler die Welt zu retten suchen. Das Schwarze Loch gewinnt immer." Die erste halbe Stunde verwende ich darauf, das schönste Schwarze Loch auszusuchen. Es gewinnt ein richtig dunkles, fast Schwarzes.

Nach einer Stunde dämmert es JC, dass das als "magisch" angekündigte iPad nur unwesentlich schneller als Charles Cabbages Rechenmaschine mit Handkurbel ist und schliesst sich entschlossen Kaspar an. JC nimmt sich des Wettersimulators an.

Nicht ganz. Kaspar hadert noch mit obskuren 3D Modell-Dateiformaten. Was für normale Menschen (also nicht Sie, geehrter Leser) wie eine Teetasse in der Matrix aussieht, biegt sich in Kaspars Augen zu einem X-Wing Flieger aus Star Wars. Oder doch nicht? Ein Mitschnitt aus JCs und Kaspars Dialog: "Aber wenn ein Vertex [ein Punkt im Raum in der Geheimsprache der Informatiker] 3 Koordinaten braucht, warum sind dann im File ein Multiples von 4 vorhanden? Und was sollen diese Zahlen am Ende der Datei?"

Wir schliessen unsere Augen ob der nachfolgenden Sezierung der Datei und reimen uns zusammen, dass die Arbeit an einem Biermoralssimulator doch viel mehr Spass macht. Das ist übrigens auch der Grund dafür, dass sich im Apple App Store viel mehr Biersimulatoren als 3D Modelldatei-Leser finden. (Verhältnis Unendlich zu Null)

In der Mitte irgendwo ein sehr willkommenes Interludium durch Daniela, welche uns durch gelungenes und köstliches Abendessen beglückt. Danke dafür!

Neu gestärkt kämpfen wir weiter. Bei mir rauschen erste Wissenschaftler ums Loch und werden mittlerweile von den Sofas und Babies in Selbiges gedrückt. Irgendwann trifft Melitta ein, d.h: Ideen fliegen durch die Luft, welche ich glücklicherweise sofort einbauen mag.

Der Druck steigt – die letzte halbe Stunde bricht an: Das Dreamteam bestehend aus JC "Ich bin müüüüde" Fischer und Kaspar "Wo ist der Verrrtex" Schiess präsentiert uns einen korrekt glänzenden X-Wing, welcher bis in alle Ewigkeiten um seine eigene Achse rotieren könnte, würde ihn man denn lassen.
In meiner Verzweiflung ein fertiges Spiel zu präsentieren, erinnere ich mich an Shakespeare: "If all else faileth, add a canine to bring amusement to merry onlookers" Und so verdamme ich etliche Hühner (ich kann doch kein Latein) zum Tod durch überhöhte Schwerkraft.

Da wir aus logischen Gründen schon verfrüht mit dem Bierkonsum begonnen haben, bleibt uns zum Schluss nur ein herzliches Schulterklopfen und die Gewissheit, dass wir wieder mal den inneren Schweinehund besiegt haben. Ebenfalls ein grosses Danke an JC und die InVisible GmbH für die Bereitstellung der Räumlichkeiten!

Die Wertung zum Schluss:
- Der A Stern des Tages: Jens-Christian Fischer
- Bester X-Wing Pilot: Kaspar Schiess
- Realistischstes Spiel: Florian Hanke

Die Spiele zum Herunterladen:
Meins: http://github.com/floere/gosu_extensions (ruby examples/cern_horror/run.rb)
JC und Kaspar: Bald.

Die Fotos und ein Film: http://www.flickr.com/photos/hanke/sets/72157624283617386/

Bis zum nächsten Mal, wenn es wieder heisst: "Ich bin müüüüüüde." Nein, falsch. Richtig: "GAME OOOOOOON!" :)

Donnerstag, 8. April 2010

Game ON!

Heute führen Jens-Christian und ich den Spieleprogrammier-Event „Game ON!“ durch, an dem wir 3 Stunden Zeit haben, ein Spiel zu programmieren. Dies ist mein abschliessendes Mail an die Teilnehmer (wenn ihr etwas nicht versteht, einfach weiterlesen):

Game ON! ist nun nach 3 fulminanten Stunden vorbei.
Fotos: http://www.flickr.com/photos/hanke/sets/72157623682154969/
Video: HD, auf Vimeo

Es gab folgende Kategorien:
- Überzeugendster Einsatz des A* Pathfinding Algorithmus
- Game ON Extreme: Spiel in 1,5 Stunden
- King of the Skihill – einziges fertiggestelltes Spiel
- Maximaler Einsatz von Hühnern auf dem Bildschirm
- Beste Kopie eines bestehenden Spiels im Weltall

Die mutigen Teilnehmer:
- Jens-Christian, der grosszügige Sponsor von Ort, Speis, Trank und Jury
- Valentin, der noch durch Nacht und Nebel geröhrt ist, um dem Anlass beizuwohnen
- Severin, trotz später Vorbereitung locker einhändig codet (mit der anderen Hand Zaubertricke mit den Nüsschen durchgeführt*)
- Flöre, der sein Framework dem Spott und Hohn ;) seiner Kollegen aussetzte
- Niko, der körperlose Kopf auf dem Fenstersims, Skype Video sei dank.

Der Ablauf:
  Wild stürzt sich Jens-Christian in die Fluten der iPhone Programmierung. Nein, nicht etwa begnügt er sich mit Pong, ein über Bluetooth funktionierendes Multiplayer Tower Defense Spiel muss her. Wir staunen alle und erinnern ihn an die 3 Stunden-Regel. Als gleich nach Beginn der erste Bluetooth Handshake steht und nach einer Stunde bereits die Creeps ihren Weg um die Hindernisse finden, schielen wir betupft auf unsere Ergebnisse, die bei Selle aus zwei Skifahrern besteht, die einen Hang runterdüsen und sich gegenseitig in die Schneewächten kicken. Bei mir nicht viel besser: Ein Jeep hüpft über Steine und verschiesst Raketen. Äh ja.
  Verbissen hacken wir weiter. Valentin trifft ein: Noch 1,5 Stunden. Sein leeres Schlucken verhallt im Raum und er verkündet sein Ziel, ein Shufflepuckgame auf dem iPhone zu erzeugen. Etwas vereinfacht.
  Nach 2 Stunden steht auf meinem Plan: „Ergebnis verfeinern und polieren, eventuell bessere Sounds einpflegen.“ Noch habe ich keine Gegner und erste Verzweiflung macht sich breit. Severin derweil kichert sich ins Fäustchen ob der Kapriolen seiner Skifahrer. Jens-Christian verzeichnet erste Erfolge auf dem iPhone selbst!
  The disembodied head, Niko, trifft ein und beglückt uns mit diversen Geräuschen, welche durch seinen Computer surreal verstärkt werden. Er zollt dem leichten Zeitdruck Tribut und beginnt, ein älteres meiner Spiele, mit dem faszinierenden und in seiner Einfachheit genialen Titel „Tank vs. Spaceship“ abzuändern. Nach 20 Minuten der erste Rückschlag: „Meine Spielfigur versinkt bis zur Hüfte im unteren Rand!“ Oder doch nicht, folgt doch kurz darauf: „Hahahaha!“
  Eine erste Demorunde beeindruckt mich total, bei allen :)
  Schliesslich leiten wir die „Hilfe noch 20 Minuten“ Phase ein. Severin baut noch Punktestand ein, Valentin kniffelt an den Details, Jens-Christian ergötzt sich an einem optimierten Pfadfindealgorithmuseinsatz, ich baue noch ein paar Hühner ein, in der Hoffnung, dass damit alles besser wird. Niko’s Spielfigur schiesst sich erst in den Kopf, dann in den Fuss, schliesslich in die Weichteile. 

  Zum Schluss trudeln die Kinder von JC ein und befinden fast einstimmig: „Tree Run“, von Selle zum Sieger zu küren. Das coole Spielprinzip und die schöne Umsetzung überzeugt sie. An meinem Spiel „Mad Fred“ bleiben sie unerklärlicherweise länger kleben. Vermutlich, um herauszufinden, wo genau die Rakete hin muss und warum ein Jeep 20 Meter hoch springen kann. Valentins Spiel „Shufflepuck Single Player 3000“ bleibt in seiner Einfachheit bestechend und es gewinnt mit dicken Lorbeeren den Game ON! Extreme Preis. Für die Kinder vielleicht doch etwas zu konzeptionell, artistisch? JCs Spiel „BTMPiPTDG“ (http://screencast.com/t/YjliMzQ2) läuft quasi ausser Konkurrenz: iPhone, Bluetooth, und den A* Pfadfinderalgorithmus eingesetzt. Warum genau braucht EA Sports 3 Jahre für ein Spiel? Niko, ebenfalls ausser Konkurrenz wurde der Sieger der Herzen mit seiner Version von „Jumping Giana Sister Space Genocide“.

Mein Fazit:
  Geeks, die um Computer sitzen und Nüsschen knabbern mögen grundsätzlich nicht so sexy sein. Aber ich war – und bin – absolut beeindruckt, was man erreichen kann, wenn man wenig Zeit und ein gutes Ziel hat.
  Ich bin total stolz auf alle Teilnehmer, und ich hoffe, dass ihr noch ein wenig Zeit findet, die Spiele noch weiter- und/oder fertig zu entwickeln.

Dienstag, 26. Januar 2010

Vom Rennen und gerannt werden

Als Kind tragen mich die Füsse überall hin – Nachmittage lang durch die Wälder in und um Erlenbach gestreift, das Tobel hoch und runtergerannt, im Garten von Steinplatte zu Steinplatte hüpfen, so schnell es geht. In den dunklen Stunden die 2km lange Lerchenbergstrasse hochgerannt, am besten in der Mitte der Strasse. (Wohl des überbordenden Lichts wegen, welches im Tobel nur so spärlich vorhanden ist, die Phantasie dafür umso grenzenloser die formbaren Büsche zur Maskerade bewegt)
Mit meinen Freunden war nur die maximale Geschwindigkeit schnell genug, um an neue Orte, zum Tennisspiel, zum Basketballplatz, und natürlich zu den Häusern der angebeteten Mädels zu kommen.

Die überaus einfache Formel des rennend, velofahrend Glück lautet wie folgt:
Glück (rennend) = Wind im Haar x vorbeiziehende Natur
Kein Glück entsteht hierbei nur, wenn entweder kein Wind das Haar umspielt, oder keine Natur vorbeizieht. Glatzenträger mögen ihre eigene Formel herleiten.

Später dann bemerkt eine meiner ersten Freundinnen: "Du rennst immer überall hin!" Zwar darf das "immer" getrost für später oft wiederholte Benutzung in die Welt der Östrogene gebettet werden, aber so ganz Unrecht hatte sie nicht. Treppen kann ich gar nicht anders als hochrennen – die Rolltreppe führt die Top Ten der Weltverbrechen an, kurz vor der Atombombe und verkochten Spaghetti.

20 Jahre später finde ich mich mitten in einem Halbmarathon wieder und frage mich: Was ist passiert? Zwar, ja, durchaus entstehen Glückgefühl im Danach und dem Davor. Aber muss es so mühselig sein? Muss man sich auf den Biss in eine erfrischende Zitrone bei der nächsten Verpflegungsstelle tatsächlich sooo freuen, weil man sonst nicht viel hat?

Was also ist passiert? Ich habe wieder einmal zuviel auf Leute gehört, von denen ich annahm, sie würden es besser wissen. Die und die Schuhe werden gebraucht. So muss gerannt werden. Und die Sportmedizin belegt… Dass vor 5 Jahren Stretching wichtig gewesen sein sollte, vor 4 wieder sogar schädlich, dann vor 3 unentbehrlich, vor zweien völlig irrelevant – vor einem Jahr dann definitiv Klarheit: Stretching ist bei Kälte so wichtig, weil einem sonst alle Bänder zerreissen, will man auch nur einen Zeh leicht anheben usw.
Dabei sind die Zeichen klar: Ich kaufe mir immer die härtesten Schuhe, die ich finden kann. Ich liebe Barfusswandern. Zu Hause tripple ich ebenso herum.

Irgendwann letzten Sommer lese ich von einem mexikanischen Indianerstamm, der für sein ausdauerndes Rennen bekannt sein soll. Aus der Wüste kommend, sollen sie einmal einen brutalen 100 Meilen Lauf gewonnen haben, um danach wieder quasi spurlos zurückzugehen. Ich bin fasziniert und entdecke die Welt der Ultramarathonläufer. Lese Geschichten von hart trinkenden Surfergirls, die am nächsten Tag lachend einen 100 Meilenlauf querfeldein bestreiten, nicht ohne dazwischen an den Verpflegungsstellen mit den Zuschauern Armzudrücken, oder das Baby zu füttern. Von Männern, die in der Wüste verschwinden, um zu rennenden Geistern zu werden. Von einem Jagdstil, der die Essenz der menschlichen körperlichen Vorteile erfasst. Zeitlupenvideos grosser Läufer.

Ein weiterer Puzzlestein fügt sich langsam aber stetig nahtlos ein. Es fühlt sich viel besser an, selbst nachzuforschen. Nächte lese ich mich in die neugeborenen Stunden: Vom Fuss, von grossen Menschen, vom Mut, mal etwas Anderes zu denken, "giving a shit".

Und renne. Renne, als wäre ich wieder Kind.

Dienstag, 8. Dezember 2009

Wenn ein Stein von der Niere fällt… Teil 1

Leicht übermüdet – in Erwartung des grossen Tages* wache ich schon um 5 auf, meinen Sonnenaufgangswecker um Längen schlagend – schlurfe ich zur Lessingstrasse. Zur Feier des Tages in meinem Anzug, dessen mittlerweile übergrosses Hemd und Jacke mir im kalten Herbstwind um die Ohren schlackern würden, wäre da nicht der eiskalte Regen, der dies per Fluidadhesion rücksichtsvoll verhindert. Wie toll.

Als ich an der Tramhaltestelle stehe, das feuchte Nass sich von vorn und von hinten (ein lokales Kuriosum an der Hallenbadhaltestelle) in diverse Mantelöffnungen ergiesst, klammere ich mich an die Bücherwelten des Kindle und frage mich dennoch: Ist dieser Regen ein gutes Omen für den Livegang der Suche, mein Projekt seit 1,5 Jahren? Es kann nur besser werden, erinnere ich mich, und schwebe bald zur Tür im 3. Stock hinein.

Besser? Nein. Das Telephon klingelt. Es ist die Ärztin, bei der ich mich Tags zuvor eines Generalchecks unterzogen hatte. Eine Geschichte für sich. Jedenfalls meint sie:
"Herr Hanke?".
Nein, sie sagte mit ihrem unglaublichen Akzent: "'err 'anghe?"
"Ja?"
"Herr Hanke, sie müssen sofort in die Praxis kommen!" (zur besseren Lesbarkeit übersetzt)
"Mmh, warum denn?"
"Ich kann es ihnen am Telephon nicht sagen!"
"Oh. Warum denn?"
"Es ist persönlicher Natur."
(*Jetzt* hat sie meine Neugierde!) "Oh. Können sie mir wenigstens einen Hinweis geben?"
"Gut. Ihr Nierenwert…"
"Ja?"
"Ihr Nierenwert ist… etwas… höher. Ich meine: hoch. Sie müssen möglichst schnell in die Praxis kommen, sagen wir in einer Stunde?"
"Gut, ok."
Perfektes Timing, aber gut, ich bin *sehr* neugierig. Wie ködert man eine Blondine? "Bitte wenden." Wie ködert man einen Flöre? "Ihre körperlichen Werte… *schwer in den Hörer keuchend* unglaublich, unglaublich!"
2 Stunden, eine weitere Blutabnahme und eine profus schwitzende und errötete Ärztin später steht schwarz auf weiss fest: Meine Blutwerte strahlen in wahrhaftiger Blute, ich meine Blüte; Vampire rufen an und würden pro Liter halb Transsylvanien hergeben.
Fakt: Das Blutmessgerät zeigte "leicht" erhöhte Kreatinwerte an. "Leicht" bedeutet in diesem Fall: Wo ist die nächste Spenderniere?!?

In Kürze: Das Messgerät erlaubte sich einen kleinen Scherz und erhöhte die Messwerte für Kreatin – alles ist in völliger Ordnung :)

Und so endet Teil 1, und der nächste Teil meldet sich an: Der Livegang des Projekts…

Update: Das Ärztezentrum Sihlcity hat sich netterweise erlaubt, die Kosten des Fehlers auf mich abzuwälzen. Und gibt sich auch noch entrüstet, wenn ich mich beklage. Naja, wenn kein Druck besteht, kundenfreundlich zu sein…

Update 2: Frau Landolt vom Zentrum hat die Rechnung nun gestrichen, und war überdies noch sehr freundlich. Danke :)

Montag, 19. Oktober 2009

Blast from the past

Manchmal routiniert man sich durchs Leben. Der alltäglich alltaxierende Alltag. Der so langweilig überhaupt nicht ist, sondern nötig, hat man sich eine Rumpelkiste voller Tätigkeiten zurechtgelegt. Dennoch.

Und dann melden sich plötzlich Menschen, die man lange, lange verloren geglaubt hatte und eröffnen einem jeweils einen neuen Blick auf das vergangene Selbst. Stimmen aus der Vergangenheit. Und man staunt nur. Und glaubt es kaum. Und würde vor Lob am liebsten als Rinnsal im Boden versickern, oder den nächstbesten Berg erklimmen.

Und manchmal stolpert man müde nach Hause, eine brillante Kinoperformance später, tritt durch die Tür, und da sind sie. Die Stimmen der Zukunft.

Überraschungen? Ja, gerne. Immer.

Montag, 14. September 2009

Tag für Tag stelle ich den Babys eine Schale Wasser hin, doch nie leert sie sich. Schleichen sich die Beiden Tag für Tag in den Spirituosenschrank, um sich am Carlos Primero I gütlich zu tun?

Bei einer weiteren Bauchmassage Teslas die Erkenntnis: Lautes Geschlabber von Gizmo, der seinen Kopf schon fast obszön tief ins Bambuspflanzenglas steckt, könnte ein Hinweis sein. Mein Bauch gurgelt der detektivischen Brillanz wegen ;)

Weitere spannende Erkenntnis: Tesla mag meinen Schweiss. Obwohl, "mag" verniedlicht die Tatsache, dass sie oft ihren ganzen Kopf in meiner Achsel vergräbt und erst dann nicht mehr drückt, als schon der eine Ohrenspitz schon fast wieder aus der Schulter hervorlugt. Ah, les femmes…
Und nein, ich deodoriere mich frühmorgens nicht mit einem Hering, wie es die Ostfriesen tun mögen.

Ein paar Tips für solche, die gerne mal die Nachbarskatze streicheln möchten, aber mangels Charme dies nicht bewerkstelligen konnten:
1. Klein machen.
2. Bauch zeigen.
3. Katze langsam anblinzeln (Vorsicht: Man schläft selbst dabei fast ein).
4. Bauchmassage über sich ergehen lassen, als Bezahlung streicheln.
5. Im Notfall einen Hering nehmen und…

Aaaand that's it for the Flo and the Cats Show – wir treten in Paris, Rom, New York und Schwamendingen West auf :)

Sonntag, 13. September 2009

2 Babys

Letzten Mittwoch wurden mir zwei Babys, ein Mädchen und ein Junge, geboren. Das mag jetzt für viele etwas überraschend kommen, aber glaubt mir – für mich genauso!

Und wie es so ist bei Erzählungen von Babys: Leicht banal, aber immer von Herzen kommend.

Der Junge heisst Gizmo (4,6kg), das Mädchen Tesla (3,3kg). Jeden Abend, wenn ich sie besuchen komme, vollziehen wir dasselbe Ritual. Ich öffne die Tür etwa 10 Zentimeter, drücke dann den in den Startlöchern zur grossen Entdeckungsreise bereiten Gizmo mit der Hand sanft aber bestimmt in die Wohnung zurück, zwänge mich durch den ebensobreiten Spalt und lasse dann die Tür mit einem saftigen Wumms zufallen. Erstes Aufatmen.

Dann werde ich bearbeitet: Lautestes Schnurren, insistierendes Um-die-Beine-Streichen und dieses kindliche Miauen, das Herzen zerbröseln lässt, den feinen entstehenden Staub zu einer wehrlosen Flüssigkeit zerstiebt. Ich habe auch schon einen Namen: Miiiiauaua, "Hand, die die Katzenfutterdosen öffnet, Beine, die die Hand zu ebendiesen bewegt."

Während der Raubtierfütterung bleiben mir knappe, ungestörte fünf Minuten, in denen ich die Wohnung lüfte, der Katzenflo das Katzenklo säubert und die Machete schleift, um sich in den Urwald zu stürzen. Urwald? denkt ihr euch – wo genau hütet er die Katzen? Caracas? Manaus? Nein.

Die Wohnung von Susi und Ralf beherbergt normalerweise auch 2 Biologen, mit der logisch folgenden Menge an Pflanzen (knapp 2000, gezählt ohne Schmarotzerpflanzen in den Baumwipfeln). Leicht eingeschüchtert betrete ich das volle Wohnzimmer aka Treibhaus aka Grüne Lunge der Ostschweiz. Die Spritzkanne in meiner rechten Hand schrumpft mit jedem Schritt, mit meiner linken vollziehe ich unbewusst Hackbewegungen, die Augen flitzen quer durchs Zimmer, Vogelspinnen, Pfeilgiftfrösche, Menschenfresser vom Stamm der Quaxixi!

Nach weiteren 15 Minuten zieht sich der Urwald gesättigt und getränkt ein Bisschen zurück und gibt den Blick auf ein Sofa frei, deren Knautschzone ich mich bald bemächtige. Es geht nie lange, da wird mein Gesicht von Gizmo abgeleckt – heute zum Beispiel dufte ich nach Eau de Thunfisch, während Tesla ihre Masseusenausbildung zur Perfektion bringt.

Teslas Massagekunst ist unerreicht und nur schon wegen der hervorgerufenen Lachkrämpfe ist es ein absolutes Muss, sie einmal dabei beobachtet zu haben. Erst stellt sie sich neben den Bauch des bald Beglückten, dann beginnt sie langsam, mit den Vorderbeinen zu kneten. Dies mit einem absolut seriösen Blick, mit dem sie den Massierten beobachtet. Immer links, rechts, richtig fest in den Bauch hinein. Nach etwa 2 Minuten wird es mir jeweils zu surreal und unwirklich, so dass ich lauthals zu lachen beginne, was leider der Massage Abbruch tut.

Nach einer halben Stunde bringe ich sie zu ihrem Katzenbaum, lösche das Licht und schliesse leise die Tür. Nachts wache ich einmal bisher auf: Sie haben herausgefunden, wie man die Fresspakete öffnet! Gizmo ist eine Pflanze auf den Kopf gefallen! Tesla hängt mit dem Hals im gekippten Fenster fest!

Es ist nicht einfach, Vater zu sein.

Aber ich mag es.

Freitag, 4. September 2009

Im Sturm restorm stürmen

Heute war ich wieder mal bei restorm eingeladen. Auch wenn nicht immer alles perfekt war während meiner Zeit da, so treten nun die schönen Erinnerungen in den Vordergrund und etwas wehmütig stehe ich vor dem grossen Ikeatisch, an dem wir so viele schweissdurchzogene, nervblanke, ulkige, blödelnde, codende, youtubene Stunden verbracht hatten, Franco, Kaspar, Nik, Niko, Severin, Walid und ich.

Doch statt aluminien Laptops wird der Tisch mit diversen Grillbeilagen geschmückt und … ok, ich schreibe zuviel vom Essen *g*

Überhaupt haben wir uns damals alles im Ikea zusammengekauft. Für einiges Gegrinse sorgte damals mein leuchtroter Pilzsitz, den ich speziell für meinen Rücken kaufen wollte, der dann aber bald klammheimlich in einer Ecke verschwand, gefolgt von den verebbenden Sticheleien der anderen.

Nach einem witzigen Gespräch mit Marianne – Zürich ist einfach zu klein – unterhalte ich mich mit Selle und meinem Velokonkurrenten des Sonntags, Franco, und bald tritt der erste Act des Abends auf: Stella Cruz, eine kleingewachsene Philippinoschweizerin, welche mit Gitarre und ihrer atemberaubenden Stimme die Zuhörer bezaubert. Mich besonders mit der Bemerkung, dass sie ihren Zugabesong für eine durstende Zimmerpflanze geschrieben hätte. Die schweizerdeutsch gesungene Ode an ihren Wecker "5 Minuten", der voller Hassliebe den holprigen Tagesanfang beschreibt, ist ebenfalls fesselnd. (restorm, MySpace) Am 3. Oktober im Mehrspur am Bellevue.

Solche Erlebnisse erinnern mich immer: Es gibt wenig Tolleres, als im kleinen Kreis aus Freunden jemandem mit Gitarre und voller Stimme zuzuhören.

Nein. Es gibt etwas Tolleres. Nämlich wenn man mitten in einem Lied herausfindet, dass der Stuhl, auf dem die Sängerin sitzt, kein Geringerer als eben dieser rote Ikea Pilzsitz ist :)


P.S: Danach folgt der mit Hippie Kacke bekannt werdende Ian Constable, mit seiner Zürischnurä. Aber da bin ich schon wieder zu Hause.

Donnerstag, 3. September 2009

Professionelle Vorbereitungen

Das Beste an Wettkämpfen ist das Essen.

Und ich rede hier weder von den Sportlergummibärchen, noch den Gelbeuteln, die jede Mundhöhle wie eine fleischfressende Pflanze (leuchtgelb, glibbrig, Fliegen bleiben kleben) aussehen lassen, sondern von den drei Tagen davor, in denen Völlerei nicht nur erlaubt, sondern erwünscht ist.

Das Ziel: Am Tag des Wettkampfs vor Energie und Kraft strotzend im Kreis zu rennen/fahren/schwimmen/Schachfiguren stemmen. Der Theorien gibt es viele. Bis eine Woche zuvor stopft man sich mit Eiweissen voll, ab dann nur noch Kohlenhydrate. Andere predigen die Einnahme von brauner Reispasta. Nach langer Forschungszeit und akribischer Beobachtung meines eigenen Körpers entwickle ich meine eigene Theorie: "SLL", was kurz "Spaziergang durch den Lebensmittelladen" bedeutet.

Es ist immer ein erhebender Moment, wenn sich hinter einem die Schiebetüren mit einem knappen "fsst" (oder wars ein "sll"?) schliessen, man die Finger durchstreckt und sodann die Regale durchforstet. Das Vorgehen ähnelt dabei dem einer Schwangeren*, welche schweissüberströmt um 3 Uhr morgens den Kühlschrank nach Rosenkohl durchsucht, vergebens, und sich wenige Minuten später wiederfindet, die Zähne gemächlich an den Zehen des Ge-mahl-s raspelnd.

Das Kriegsgeheul des Erfolgs nur unter Mühen unterdrückend (dafür wohl umso blöder grinsend), schwebe ich aus dem Laden, der Küche zu. Als erstes tupfe ich einen Hauch von Wasabi auf die richtig dicken Straussenfilets und bedecke selbige mit richtig viel grobkörnigem Salz. Wohl als Erinnerung an brasilianische Churrasco-Eskapaden <- ein Pleonasmus, ich weiss. Dann bereite ich eine recht normale Tomatensauce mit viel Speck, Zwiebeln und frischen Tomaten zu, in welcher später die Bucatini n°9 noch ausreifend baden werden. Die Sauce wird noch mit etwas begleitet mit Hüttenkäse, um sie etwas geschmeidiger zu machen. Während die Sauce vor sich hinmeditiert, bildet sich auf den Straussenfilets ein leichter Blutfilm und ich brate sie kurz, dafür umso heftiger an, lasse sie noch etwas brutzeln, da durch ihre Dicke die Feuchtigkeit schön innen erhalten bleibt. Ein Basilikumknöspchen obenauf, die Messer gewetzt…

Erzähler: "Und hier wenden wir unseren Blick ab vom Schauspiel, das sich uns böte, sind doch auch Minderjährige unter den Lesern dieser Blogs. Der Kreis des Lebens schliesst sich, nach den Löwen und Hyänen kümmern sich Geier und Fliegen um das Gerippe, welches vor Kurzem noch ein lebendiges Tier war."


Das Beste an Wettkämpfen ist das Essen.

Korrektur:
Das Beste an Wettkämpfen ist, darüber nachzudenken, was man denn morgen Essen könnte…





*Oft schreibt man hier "schwangere Frau", als gäbe es schwangere Männer. Aber wer weiss? Vielleicht tanzen diese mit jungen Greisinnen und schwarzen Schimmeln auf Planet Ple-non-asmus 4.

Donnerstag, 27. August 2009

Dreiwettkampf

(athlos, griech. Wettkampf)

Bisher hatte ich mich auf die meisten Wettkämpfe nur sehr sporadisch vorbereitet – im Glauben, der Wille allein könnte diesen Körper über staubige Hügel tragen. Wie die Feder das Schwert bezwingt, so könne der Löwe im Herzen (oder wenigstens Frosties-Tiger im Magen) die behäbigen Massen zu Wundertaten aufrühren und mitreissen. Zwar führte dies ab und zu zu gar beachtlichen Überraschungserfolgen, aber es blieb meist der schale Nachgeschmack einer zu billig errungenen Belohnung, jedoch meist ein faires Abbild der hineingesteckten Mühen.

Vor noch einigen Monaten schallte der Ausdruck "Triathlon" für mich noch mehr nach "Ertrinken, Strampeln, Kriechen, Tod." als nach "Gleiten, Fliegen, Hüpfen, Glückseligkeit."

Dies sollte sich ändern! Mit einer nur ganz minimal ausgeprägten Neigung in Richtung Velofahren (HAHA) trainiere ich ausserdem täglich noch Schwimmen oder Joggen. Nicht selten verbinde ich z.B. Joggen mit nützlichen Botengängen. Nächtlich spazierenden Schwamedingern werden noch jahrelang zwei durch die Büsche schwebende TexAid Säcke in grausiger Erinnerung bleiben. Wenigstens kommt kurz das Gefühl auf, Rocky-gleich mit zwei schweren Schweinehälften die Treppen hochzustieren, in den Ohren schallt "Das Ei des Tigers".

Mit professioneller Hilfe von Jo bereite ich mich auf den im Morgen bevorstehenden Wettkampf vor: Kohlenhydrate türmen sich vor uns auf und noch während ich das tomatene Wirrwarr der spaghettenen Würmer als in der 10-stündigen Zeitspanne als unverdaubar erkläre, spüre ich schon den erwartungsvollen Blick von Jo in der Seite, der mich sanft aber bestimmt zur Pfanne führt, eines Nachschlags wegen. Die Sauce ist sehr verführerisch und so kommt es, dass ich mich bald schweren Magens im Bett wiederfinde. Zwei Stunden später wache ich auf, in der Gewissheit, mein Nachbar hätte mich ans Kunsthaus verkauft: "Ball, Extremitäten, Filzzunge, Beuys 1977"

Es ist ein prächtiger Morgen, die Sonne lacht uns an und es kommt tatsächlich Wettkampfstimmung auf :) Bald finde ich die Nummer 1307 (meine) und bereite mich hastig vor, indem ich die jeweiligen Utensilien höchst durchdacht und clever auf dem Velo und dem Boden verteilen. Ein Feng Shui Spezialist hätte seine helle Freude daran gehabt. Der Drache kommt vom Berg zum See, sag ich da mal. Dass sich der Drache nachher im Vorbeiweg an mir verheddert und wertvolle Sekunden stibitzt… ;)

5 Minuten vor dem Wasserstart finde ich Andi und mit seiner "ruhigen" Art "beruhigt" er mich (um es zu visualisieren: Vom Tisch aufstehen und wild mit den Armen flattern, wenn möglich Gackern ;) ). Zu den kleinen schönen Gesten des Rennens gesellt sich dieser: Jo bietet mir einen Schluck Wasser vor dem Start an, was mich ungemein motiviert :)
Plötzlich geht es los – hunderte Arme peitschen auf das Wasser ein, leider werde ich gleich zu Beginn von einer Ferse ins Auge getroffen, später noch auf die Nase, was etwas demotiviert, sich im Crawlen zu üben. Ich mache es trotzdem und kriege nach einigen Dutzend Metern gleich nochmals mehrere Schlucke Wasser offeriert, diesmal vom grünen Greifensee. Reich an Chlorophyll und Schwebeteilchen, denke ich mir kurz, notiere mir aber mental, selbigen das nächste Mal nicht mehr durch Ohr und Nase einzunehmen. Das Schwimmen vergeht wie ein Traum, energetisch erklimme ich die Stufe per Knie, werde motivierend von Jo bewinkt und düse sogleich zum Wechselplatz, wo der vorherig erwähnte Drache auf mich wartet und sich zwischen Kleidung, Schuhen und dem Velo selbst zum See zwängt.

Ich kann es kaum erwarten zu Velofahren! Meine Standardstrecke, diesmal mit Triathlonlenker! Ich hüpfe zum Start mit einem breiten Grinsen und steige fahrtoll zu früh auf, was aber nicht mit einer der gefürchteten schwarzen Karten quittiert wird. Endlich! Mein Ziel ist es, in unter einer halben Stunde um den See zu fahren, damit 40km/h zu fahren. Gleich als erstes fällt mir auf, dass ich den Bordcomputer falsch konfiguriert habe – wild drücke ich auf den gummigen Tasten herum. Uhrzeit? Nein. Kalorien? Neeein. Durchschnittsgeschwindigkeit? Oh ja.

Ich gebe Gas – gleich zu Beginn überhole ich einen wie wild strampelnden Mountain Biker und einen (beeindruckend schnellen) City Biker. 100 Punkte für jeden. Nach einem Kilometer merke ich aber wie meine Beine nicht wirklich drücken mögen. Die Durchschnittsgeschwindigkeit dümpelt bei 30 herum. Fatal! Übliche Autorituale "Choke?", "Handbremse an?", "Normal getankt?" versagen. Mürrisch kaue ich auf einem "Ride Shot" herum, ein überteuertes Gummibärchen für Breitensportler mit laut Werbung quasimystischen Kräften. Im nächsten Leben falle ich einfach als Kind in den Zaubertrank, problem solved.

Als ich beim schlechten Ei ("Bad Egg") um die Kurve biege erblicke ich die erste Steigung nach Maur und etliche Radfahrer, die sich die Steigung hochmühen. Ein unerklärlicher Jagdinstinkt bricht jäh durch und ich fliege plötzlich die Steigung hoch, mit 42km/h, alle überholend. Das heisst, fast alle. Ein bereits zuvor gehörtes, verdächtiges Geräusch will nicht von meiner Seite weichen: *Ka-Ding* *Ka-Ding*. Ich drehe meinen Kopf und da ist er: Fredy. Ein kurzer Flashback zu jener wilden Bladegottheit lässt mich aufschrecken. Augenblicklich verspüre ich Antipathie. Fredy. Ich nenne ihn nur so. Aber er heisst gewiss irgendwie so; älter, eine fast kopfumspannende Glatze, sehniges Gesicht, drahtigen Körper.
*Ka-Ding* *Ka-Ding*
Und er lässt sich nicht abschütteln. Ich schalte einen Gang runter, erhöhe die Drehzahl auf 120, der Motor heult auf: "jaul, jaul", 45km/h, wir fetzen durch Maur, diesen komischen Bauernhof mit diesem … Dings, irgendwas, Fällanden, dort die Strasse runter.
*Ka-Ding* *Ka-Ding*, nun dringlicher, schneller, verstummend: 54km/h.
Beim Anstieg an der nordwestlichen Ecke des Sees bläst mir ein brutaler Wind entgegen, ich werde langsamer. Unangenehm langsam, hinter mir beginnt wieder dieses unerträgliche Geräusch. Ölt der Mann je sein Velo??? Vor mir eine Gruppe, unüberholbar breit. Da rast plötzlich Fredy an mir vorbei winkt mir verächtlich mit einem Finger zu und meint "He, Gas gäääh."

FREEEDYYYY! Fast unmittelbar schiesst mir das Blut ins Gesicht, die Augen treten hervor, der Atem wird schwerer, tiefer, grollend, der Mund: schäumt. Wir schiessen plötzlich an der Traube aus Metall, Fleisch und Rädern vorbei (Hallo Andi). Fredy vor mir im Ziel? Niemals, so wahr ich Florian "Oberschenkel" Hanke heisse! Glühenden Beins strample ich an ihm vorbei, und pralle in der Wechselzone wieder mit dem Drachen zusammen, der sich nach seinem kurzen Bad im See gemütlich wieder zum Berg aufmacht, das mir fehlende Badetuch (Geklaut? Nein, vergessen.) lässig um die Lenden geschwungen.

Ich jogge los, in froher Erinnerung mein mitternächtens errungener 4:15 Schnitt. Sehr ferner froher Erinnerung. Der Drache wirft mir noch ein ominöses "Konfuzius sagt: «Wer locker flockig hüpfen mag, der besser seinem Rad entsag»" hintennach, dessen Bedeutung mir bereits nach wenigen hundert Metern klar wird. Die Essenz der letzten Sportart: Ich bin unheimlich motiviert, Joggen zu gehen! :) Überhaupt, Schwimmen ebenfalls.

Nach mehr oder weniger kurzen 5km lächle ich mich ins Ziel und werde von Jo, Sarah und Andi empfangen! :D

Jetzt ist Jo dran – sie macht den für mich in dem Moment unglaublich hart erscheinenden echten Triathlon. Bereits nach einer Viertelstunde sind die Schwimmerinnen nur noch (für erst jetzt dazugestossene) als Entchen in der Ferne erkennbar.
Nach nur ein wenig mehr als einer halben Stunde fliegt sie auch schon weiter aufs Rad. Sarah und ich versuchen ein Foto zu erhaschen, stolpern durch die Massen und drängeln uns an den Fahrbahnrand. Uns fast ein Bisschen neidisch zurücklassend entflieht sie uns über die durch Oetwil, Chrüzlen, Egg, Zumikon, Ebmatingen, Maur, Fällanden führende, geniale Velostrecke.
Die Laufstrecke legt sie dann als nur 14. zurück…

Im nächsten Abschnitt könnte ich euch nun in Echtzeit eine halbe Stunde lang über eine gewisse Massage erzählen, welche magischer Finger ausgestattet jegliche Knoten in meinen Beinen findet, die grösste Pizzeria der Welt, einer Welt, in der man allen Du sagt und einem Joghurtglacé, welches ich in meinen kühnsten Träumen nie erreichen werde. Und natürlich Apfelwein. Immer wieder Apfelwein.

Triathlon, ich werde da sein.

Montag, 24. August 2009

Nach vorn

Nirgendwo denkt es sich so gut wie in Bewegung. Nirgendwo wird der Hunger so stark geweckt. Durch nichts wächst die Sehnsucht mehr als durch die Bewegung selbst.

Das kann im Zug beginnen – den Blick nach vorn gerichtet, den Schreibblock auf den Knien, die Bäume wie an den Drähten aufgehängt, am Fenster vorbeigeführt.

Das geht weiter übers Rad, die Jagd über den Asphalt, sich von Velofahrer zu Velofahrer hangelnd, Hügel erklimmend, strahlende Sonnenuntergänge verschwinden sehend, zu Tal brausend.

Es endet in fernen Ländern, fremden Düften, andersartigen Kulturen, und reisegeschwängerten Konversationen, die sich doch immer im Kern um eins drehen: Den Menschen und die immerwährende Sehnsucht; nach vorn, nach vorn.

Nein. Es endet nie.

Die Findung des Rads

Soeben bin ich von einem richtig schönen Abend – die Ergon (die Firma, in der ich 2 Jahre war, bis vor etwa 2 Jahren) feiert ihr 25-jähriges Jubiläum – zurückgekommen. Alte Geschichten werden aufgewärmt, von fernen Reisen erfahren, geborene Babys gezählt, Geektum zelebriert. Nebenbei erfahren 4 Würste ein würdiges Schlundbegräbnis… Schön wars, danke!

(Ausserdem nehme ich der Leute Lob angesichts meiner gestrigen Veloleistung dankend an – ich wurde bereits in den Expertenstand erhoben. Auch wenn man sich insgeheim etwas unwürdig fühlt, staunenden Menschen Rat aus einem gar kleinen Topf auszuteilen, so ist es doch unglaublich motivierend, die offenbar gesehene Grösse bald auch tatsächlich auszufüllen)

Der bewegende, aber relativ unbewegte Abend liess mir die Beine zappeln. So stark, dass ich die Strecke Waldgarten-Greifenseestrasse im schnellen Joggingschritt hinter mich bringen musste. Ich muss zugeben, am liebsten wär ich auch gleich noch Velo fahren gegangen, aber das Nachtsichtgerät aus der Ukraine lässt immer noch auf sich warten, und dies, obwohl es aus totaal sicheren militärischen Quellen stammt ;) Nein, nicht wirklich.

Am 6. September werde ich genügend Zeit haben mich auszutoben, wenn ich mich um 8 Uhr morgens an der Züri Metzgete auf eine Reise in die Weiten von Westzürich aufmache. (Und – so die Hoffnung – auch wieder zurück ;))

Bis dahin verstreicht nicht mehr viel Zeit, daher habe ich mir einen überaus ausgeklügelten Trainingsplan bereitgelegt, der in der üblichen Velomessweise ca. 46mg Erythropoetin (Epo) entspricht:
25. - Rad easy (Regen bläh) Dafür 40 Minuten Beintraining mit Schwimmen.
27. - Rad hart (Regen) Dafür am Tag zuvor Rad und am Tag danach Schwimmen.
29. - Rad easy (Pause, Kohlenhydrate tanken – in Form eines Tiramisu)
30. - Rad hart (Metzgete) (Danke Julian fürs Begleiten)
31. - Rad easy
02. - Rad hart
04. - Rad easy, Spaghetti
05. - Spaghetti
06. - Metzgete (Done ;))
Dazwischen immer ein Ruhetag, die easy Strecken sind 50-60km, die harten etwa 90. Die Spaghettitrainings werden anhand der Vorgabe meiner Lieblingsmästerin Jo durchgeführt: Essen bis man nicht mehr kann plus ein Teller :)

Wenn jemand gerne mitfahren möchte, nur melden. In den Ruhetagen bin ich auch immer – immer – für lockere Velotürchen zu haben :)

Donnerstag, 6. August 2009

Tage der Erinnerung

Ja, wir sind 360km in 2,5 Tagen gefahren – jeder Höhenmeter fletschenden Zahns errungen, den Gegenwind zusammengekniffener Augen ertragen, die vollendete Erholung in gargantesken Apfelstrudeln gefunden und behalten, die Reifen auf rauhem Gelände glühend geschliffen, Blätter hinter uns aufwirbeln lassen, Kind und Hund Freude des Tages geschenkt, Cordon Bleus bestaunt, die selbst Rocky Balboa hätten wanken lassen, die Geschmacksknospen des Isostars überdrüssig werden lassen, den Namen der Wieskirche knapp aber heftig debattiert, die Hügel, Berge!, eine Familienpackung Sitzcreme an latent gedrückten Orten verteilt und bald per Bachblüte einbalsamiert, Yogalektionen gebend und nehmend, Beine dem Himmel entgegen gereckt, den Schweiss mit lässiger Zungenbewegung der Lippe entrissen, Karten rauh atmend bestaunt, motivationsraubendste Steigungen erklommen, Jägerplätzchen-Uboote im Pilzmeer aufgespürt, mit wilden ungebändigtem Ehrgeiz einer fehlleitenden Strasse nachgehetzt, glücklichen Bäckerstöchter noch den Tag versüsst – und umgekehrt, auf den weisen Rat Eingeborener gehört, eine beeindruckende hundertjährige Grossmutter lachen lassen, in die Bayrische Küche eingetaucht, um triumphal mit weissen Würsten auf den Schultern heimzukehren, Karten drehend, studierend, geniessend, süchtig werdend, die Haare lässig im Wind tragend, die rücktrittfreien Räder geniessend, trügerischen Karten blind in Hügel und Wald folgend, den gott-ver-damm-ten Sulzberg verfluchend, österreichische Sprachunikate entdeckend das "siedeln" feiern, das Video des Tages in Silizium bannend, magische kartenfreie Portale in andere Welten bestaunend, den Hirschen um dessen Spaghettivorrat bringend, den Argwohn der Urbewohner gegenüber Bischofszell bestaunend, heimatliche Strassennamen entdeckend, … das Ziel, die Nähe Münchens bluthunden riechen, aufsaugend entgegenrasen, glühender Dreifachwaden wild über Gehwege fliegen, koste was es wolle ankommend. Viel zu früh, viel zu früh.

Und dies, liebe Leser, ist nur der Bruchteil der Liste, welche sich über diese zweieinhalb Tage erstellen liesse. Nur zu oft versinken wir in der trügerisch wohligen Routine und vergessen, dass da noch eine Welt existiert, welche nur darauf wartet, dass wir sie leuchtenden Auges besuchen und in uns aufnehmen, niemals loslassend, für immer in uns tragend, bereit, erneut hervorgenommen zu werden…

Wann ergreifst Du Deine nächsten zweieinhalb Tage? Warum erst dann?

Mittwoch, 29. Juli 2009

305'000 Meter

Wie schon oft bestätigt es sich auch diesmal: Ob 55 Kilometer Nachtwandern, 5986 Meter Höhenklettern, 34'000 Meilen Traumsegeln. Verrückte Unternehmungen werden stets von gutem Wetter begleitet.

So auch diesmal. Mit Johanna – meiner Profiwindschattinatorin – werde ich der aufgehenden Sonne entgegenlechzen, unserer Räder Abdruck gleich tausendfach auf den immer dünner gesähteren Strassen hinterlassend. Kein Fossil schmückt unseren Treibstoff, einzig und allein edelster Espresso, feinstgemahlene Weisswürste und bayrischstes Weizenbier lassen unsere Schenkel das Pedal zirka 150'000 Mal eine Revolution anzetteln, um schliesslich Sonnabend mit einem letzten Zittern zu verstummen, ihre Aufrührer in einem Biergarten verschwindend. So die Hoffnung!

Während der Reise bin ich unter folgender Nummer erreichbar:    .

So und nun wünsche ich euch allen eine gute Nacht, in der ihr von den Mond umrundenden sternenbegleiteten Velos träumt!