Montag, 15. Juni 2009

Die Geschichte vom fröhlichen Hund und dem mürrischen Kater

Manchmal mag ich mir etwas ausserirdisch vorkommen, hier im schönen Oerlikon. Aber ich denke, das geht allen anderen genau gleich, denn Oerlikon ist ein Inselstaat – ein Staat aus menschlichen Inseln. Die einen, älteren, gehörbedingt fluglärmgeprüft, die anderen sprachbedingt insuliert (Wortspiel!). Aber menscheln? Das tut es, dass sich die Kokospalmen biegen und an menschenumspülten Stränden Schaumkronen auf Sand für die Ewigkeit eintrocknen. Hier spricht Kapitän Hanke, Befahrer, Beobachter und Umschiffer der Inselwelten.

Wo sonst wird einem auf einem abendlichen Rundgang gleich zweimal die Welt erklärt und wo bekommt man zweimal vigoros die Hand geschüttelt, in alkoholbedingten Entermanövern? Pokergeheimnisse werden enthüllt, Beziehungsdetails ausgebreitet, der Südanflug glühend innerlich debattiert, äusserlich gelallt?

Wo sonst breitet sich im Bus folgende Szene aus, herzzerrend: Ein etwas rotunder Mann erstreckt sich über 1,5 Sitze im Bus, gleich links von mir, der ich im Gang stehe. Von hinten nähert sich eine merkwürdig schielende Frau, der weisse Stock verrät Blindheit. Der Mann, auf den ersten Blick scheint er Türke, rotes Hemd, ein breiter Schnauz, den Mund bedachend. Er entdeckt die Frau aus dem Augenwinkel, erkennt ihre Suche nach einem Platz – der einzige zur Hälfte von ihm eingenommen, und bietet ihr sogleich an, die Luft etwas einzuziehen, um wertvolle Sitzfläche preiszugeben.
Unglücklicherweise tut er dies mit einem auf dieselbe gerichteten Zeigfinger. Sie reagiert – erwarteterweise – gar nicht. Er zuckt die Schulter, und zeigt insistierend auf den Platz, diesmal mit der anderen Hand. Sie reagiert gar nicht. Der Mann aber scheint der Sprache nicht mächtig, oder schämt sich gar, diese nur in Brocken zu benutzen, und unterstreicht nun sein nobles Vorhaben gleich mit beiden Handflächen.
Plötzlich meldet sich die junge Frau gleich vor mir – verteidigende Anmerkung: der Ort blosser Zufall – und meint, ihm ein "Si münd mit ihre rede." über die Schulter zuwerfend, wohlwollend, ihm geholfen zu haben. Nichts dergleichen, er versteht sie nicht, die Blinde Frau versteht ihn nicht.
Eigentlich DER Moment für einen jungen, sprachgewandten Mann – zufällig ist einer anwesend ;) – und er ergreift ihn, voller Vorfreude! Oh, ich hoffe, es ist ein Portugiese, oder vielleicht, ja vielleicht ist es ja ein Schwede, an dem ich meine 3 Brocken Schwedisch ausprobieren mag. Wir erinnern uns, dass bei seinem Aussehen der Ursprungsort Schweden etwa so fest in Frage kommt wie blonde Ghanaerinnen, aber auch hier, wie in der Liebe gilt: Die Hoffnung stirbt zuletzt und wenn sie stirbt, rafft sie sich abermals hoch und schleift sich per Zahnfleisch durch die glühendste Wüste, die man sich vorstellen kann, nur um der durchwegs eingebildeten Oase einen Meter näher gekommen zu sein.
So auch hier: "What language do you speak?" – Wir versuchen es mit Englisch, der selbsternannten universalen Sprache. Der Schnauz des Mannes verschränkt quasi abweisend die Arme. Schliesslich Portugiesisch, dann Französisch. Der Mann staunt mich nur an und zuckt mit der Schulter, fast entschuldigend. Sein Schnauz neigt sich leicht provokativ, was ich augenbrauenhebend zur Kenntnis nehme. In kürzester Zeit komme ich bei der Gebärdensprache an: Wie signalisiere ich Blindheit? Einer der drei Affen muss hinhalten. Die Hände bedecken die Augen. Als ich den Ringfinger leicht hebe, zwischen den Fingern durchlinse und eine Ecke des Schnauzes sehe, dessen Spitze verzweifelt und etwas enttäuscht sich der Erde zuneigt, einer Weide gleich, gebe ich auf. Das kleine Schauspiel endet abrupt für mich, als die Haltestelle Hallenbad ausgerufen wird und ich dem Bus entsteige. Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass der Schnauz am Ende zum Schluss gekommen ist, ich wäre durch und durch geistesgestört.
Wenn ich den guten Mann das nächste Mal sehe, werde ich ihn zu einem Deutschkurs animieren. Die Frage ist nur: In welcher Sprache?

Was den Titel angeht: Ich habe gestern, an einem einzigen Tag, wohl den fröhlichsten Hund und den mürrischsten Kater meines Lebens gesehen. Ich denke, nicht viele Menschen können dies von sich behaupten.

2 Kommentare:

Vito hat gesagt…

Vielleicht war er stumm? Kann das sein? Na ja, auf dem 32 Bus hat's machmal auch sehr skurrile Gestalten, hatte einfach noch keinen Mut sie anzusprechen ... Hey das mit den Inseln und so, ist typisch für Sizilianer: jeder Sizilianer ist eine Insel, bei uns gibt es sogar ein eigenes Wort für unsere Abgeschiedenheit: solitudine -> isolitudine -> sicilitudine! Bei uns bedeutet das aber mehr als nur Abgeschiedenheit, es ist auch Resignation, Trägheit, der fehlende Mut Sizilien zu verlassen. Man kann Sizilianer in zwei Kategorien einteilen, aber das erzähle ich dir dann ein anderes Mal ;-)

Florian Hanke hat gesagt…

Sicilitudine! Ich mag dieses Wort – und auf die 2 Kategorien warte ich gespannt :)

Hier gibt es die "Swissness", eine Mischung aus Hobbit, Kröte und einem Schuss Ketchup mit Güx.