Mittwoch, 30. Juni 2010

Hambuuach

Der Arbeit entwische ich etwas früher – ein wildgewordener Index bei TwixTel drohte meine Abfahrt zu verzögern – doch auch diesmal schaffe ich es, eine passende, wenn auch nicht perfekte Lösung zu finden. Falls jemand ansetzt zu meckern, möchte ich doch auf das kleine Loch im Golf von Mexico hinweisen, welches eine Weltmacht vor ernste Probleme stellt.

Um 20:42 holterdipoltert mein edler Nachtzug nach Basel los; "edel" vor allem im Rückblick auf die ausrangierten spanischen U-Bahnzüge, welche nun auf der Linie Zürich - Barcelona ihren Dienst tun und Kinder unter 8 Jahren, Edelgase und besonders Liliputaner aus besonders heissen Gegenden bequem und wohlbehalten an ihr Ziel bringen.

Zwar habe ich aus preislichen Gründen mir immer noch kein 2er Abteil mit Dachfenster und Schampus geleistet, bin aber dem Träumchen immerhin einen Schrittchen nähergekommen: Das flauschige 4er Abteil erwartet mich. Nach 3 schläfrigmachenden Grüntees, einer ruhigen Fahrt und dem darauffolgenden Überfall in Basel durch eine 40-köpfige Segelgruppe der Coopzeitung falle ich in tiefen traumlosen Schlaf. Nicht ganz so schnell, leider – ich frage mich öfters, ob ich die Coopzeitung doch lieber nicht hätte abbestellen sollen, um die resultierenden Verfolgung und den psychologischen Terror zu vermeiden.

Warum ich nicht mit dem möglicherweise billigeren und schnelleren Flugzeug reise, fragt ihr mich? Die kurze Antwort: Das Flugzeug ist mir zu schnell, und zu weit oben. Nicht etwa Flugangst plagt mich, sondern der Wunsch nach einer echten Reise – eine Reise, welche es mir ermöglicht, nach einer Phase der Transition in einem neuen Land anzukommen, und dazwischen die Abstufungen wenigstens teilweise mitzunehmen.

Lernen Sie oft neue Menschen auf einem Flug kennen? Ich auch (fast) nicht. Nicht so im Zug – die Abteile und die Bar sind exzellente Möglichkeiten, neue Leute zu treffen. Auf der Rückfahrt aus Italien lerne ich einen Dachdecker und seine Frau aus Nordostamerika kennen. Und treffe sie ein Jahr später durch unglaublichen Zufall gleich nochmals. Dann einen Künstler, der an alle ABBA Konzerte ging und deren Lieder in jeweils 4 Minuten auf ein Bild zu bannen versuchte. Mit einigem Erfolg, muss ich sagen: Die Bilder sind seicht und eingängig gemalt. Oder auch diesmal, ein junger Franzose, der schnarchfrei (wenigstens er ;) ) mit mir das Abteil teilt. Das spezielle an ihm: Er reist schon so lange, dass er nicht mehr seinen echten Namen nennt, sondern sich mit "Bolo" vorstellt. "Yü know, like the Spaghetti. Evechybodee knows the Spaghetti.", teilt er mir in seinem perfekten Frenglisch mit.

Das erste Mal übrigens, dass ich nicht am ersten Reiseabend eine Frau kennenlerne. Wie Herr Marley uns schon singt, dafür auch keine Tränen.

Als erstes fallen mir die unendlich weiten Kornfelder Norddeutschlands auf, und die Weiten ohne Häuser. Ein Kulturschock für jeden Mittellandbewohner, der es sich gewohnt ist, entweder Häuser, oder auf allen freien Flächen diese Holzgerüste, welche baldige Verhäuserung ankündigen, zu erwarten.

Als zweites grüsst mich der in Deutschland allgegenwärtige "Wortwitz", zum Beispiel: "Zopf oder Kahl" (eine gelungenere Variante für einen Frisör). In Hamburg sind sie etwas derber: "Morgenlatte, 2,90€" Ich bestelle eine, und frage mich dann ob und vor allem wie die Dame hinter der Theke dies denn bewerkstelligen möge. Zu meiner Unterraschung bekomme ich dasselbe wie die Dame neben mir, welche einen Latte Macchiato (oder wie man hier sagt "La-TE Ma-KIA-to") gewünscht hat.

Ist wohl "Moinmoinlatte" der Ausdruck für Anderes?

Der Autor beim Schreiben:

http://www.flickr.com/photos/hanke/4749507963/

Stilvoll schlürft er ein Bier mit Waldmeistersirup.

Meinen vollgepackten Rucksack auf den Hüften balancierend stolpere ich durch die erwachende Stadt und finde mich in einer Bäckerei wieder. Mönströse belegte Brötchen lachen einem hier reichlich aufgetürmt an. Lasziv kräuselt der grüne Salat aus der Seite. Dahinter eine Andeutung, ja ein Hauch Frikadelle bombastischen Ausmasses. Ich kann nicht widerstehen, genausowenig dem frischgepressten Orangensaft, und setze mich neben die zahlreichen Handwerker. In der Schweiz schon mal Handwerker in Cafés gesehen? Hier quasi permanent. Irgendwie gefällts.

Nach dem Ausschlagen eines teuren (später als sehr billig eingestuften) Hotels drehe ich eine Runde durch die edleren Quartiere, einmal "um" die Alster, dann durch die Innenstadt und zum Hafen. Ich fühle mich an London erinnert: Viele billig restaurierte Häuser. Aber auch an Amsterdam: Die roten Radwege zieren jede Strasse und führen oft quer über Fusswege. An jenen Stellen fehlen definitiv Totenköpfe, werde ich doch auch hier wieder schier von einer Oma über den Haufen gefahren. Es tänzelt sich mit einem 12kg Rucksack einfach nicht so leicht auf die Seite.

Fazit zu Hamburg: "Eigentlich ja ganz ok."

Was mir auch immer wieder auffällt, ist, dass beim Reisen einfach viel mehr Dinge vorfallen, mehr Begebenheiten und Möglichkeiten sich präsentieren, wenn man offen für sie ist. Zum Beispiel fährt ein Transportwagen voller Verkehrsschilder an mir vorbei, die Hintertür offen. Ich rufe "Ihre Hintertür steht offen", in perfektem Hochdeutsch. Doch sie fahren weiter. Erst als ein Velofahrer sie in korrektem Hamburgisch anschreit ("Ihr habt eure Tür auf") verstehen sie und korrigieren ihr Missgeschickt lautvoll "Ich dacht' Du hättest die Tür geschlossen". Schade eigentlich. Es hätte mich gewundert, was die nachfolgenden Fahrzeuge mit einem Wald aus Schildern angefangen hätten ;)

Warum eigentlich passieren solche Dinge in Zürich nicht? Oder tun sie es, aber man ist nicht offen dafür? Oder sind wir tatsächlich eine so "geschmierte" Gesellschaft, alles läuft rund?

Der Rest des Tages vergeht im Lernen von Schwedisch und kulinarischen Entdeckungen: (Mehr) Frikadellen, Fish&Chips, Rollmöpse, Matjes. Und nun die Moral der Geschicht: "Rrrrülps!", excusez-moi, ich meine "Smaklig Maltid!" :)

1 Kommentar:

Verona hat gesagt…

Ich fahre jeden Morgen Zug und muss mich auf dem Weg zur Arbeit auch über viele Dinge ärgern. Exakt bei der Hälfte der Strecke fallen wilde kleine Bestien, genannt Schulkinder, in den Zug ein und annektieren alle freien Plätze. Sie unterhalten sich so lautstark, dass mein Schlummerschlaf sofort beendet ist.