Samstag, 24. Juli 2004

Mrs Suéle

Gestern kriegte ich eine E-Mail von IAESTE Brasilien, sie hört sich etwa so an:
"Florian! ENDLICH hast Du eine Unterkunft! Adresse folgt: . Begib Dich doch so schnell wie möglich dorthin!"
(Sobald ihr wisst, dass ich diese Adresse bereits in der Schweiz schon mal gekriegt hatte, irgendwie aber das lokale IAESTE Kommitee dies nicht mitgekriegt hatte, und mich dann in das "Shithole", O-Ton Felipe, gesteckt hatte, könnt ihr vielleicht verstehen, dass ich mich nicht sooo gefreut habe. Nojo.)

Na, aber so schlimm war ja der alte Ort gar nicht. Ich fands eigentlich noch cool. Ein wilder Eintrittsritt für schlappe 140 Reais. Aaaaaall part of the experience! :)

Gleich um 7 Uhr morgens flüchte ich so schnell wie möglich aus der Unterkunft und hopse frisch motiviert Richtung Mrs. Suèle, der Haushälterin des neuen Wohnorts. Wird es nochmals dasselbe sein? Wird es besser? Gar schlechter? Nach einem ausgedehnten Morgenessen in der Shopping Mall (Bourbon) erreiche ich um 8 die neue Behausung, an der mich eine ziemlich verschlafen aussehende (Samstag) Mrs. Suèle empfängt. Später fällt mir auf, dass sie recht oft so aussieht. Hm. Die Wohnung, die ich kriege umfasst etwa 100 Quadratmeter, verstreut auf etliche Zimmer. Ich tippe so auf 8 kleine Räume. Aber welch Luxus! Küche, zwei Klos, drei Duschen, Waschmaschine, Trockner, fünf Betten. Alles für 200 Reais (~80 Franken) pro Monat! :)
Mrs. Suèle kann übrigens nur Portugiesisch - lustig, kann ich nur sagen! (Sie entschuldigt sich profus dafür und ich entschuldige sich mich ebenso dafür, dass ich kein Portugiesisch kann. Manchmal schaffen wir es zwischen all den Entschuldigungen auch, etwas Information auszutauschen. Aber nur manchmal. ;))

Fragt mich nicht, wieso, aber als Nächstes gehe ich ins grösste Shoppingcenter von Porto Alegre. Ein Alp-/Traum aus Glas und Marmor. Als Ausrede könnte ich anbringen, dass ich von den Massen in den Bus geschwemmt und dann vom reissenden Strom an Shoppern wieder dem Bus entspült wurde. Aber das stimmt nicht ganz. Ich wollte einfach das grösste Shoppingcenter von Porto Alegre sehen. Den puren Wahnsinn an Kaufrausch. Die volle Kaufkraft. Den mächtigen Fluss von Geld.
Aber das mit dem Bus ist übrigens nicht ganz unkorrekt. Samstagsshopping ist nämlich international anerkannt. ;)Doch erst ein kleiner Exkurs über das lokale Bussystem...

Ich verfüge über eine grobe Karte von Porto Alegre, und eine kleine Broschüre aller Buslinien. Sollte eigentlich reichen, sich hier mit dem Bus zurechtzufinden. HA! Nicht ganz, mon frère. Die Buslinien nämlich sind nicht etwa über eine Karte projiziert, sondern wurden auf die Karte projiziert, und dann wurde die Karte wieder entfernt, so dass nur noch die wichtigsten Referenzpunkte bleiben. D.h. wenn man sich die etwa 30 Buslinien vor Augen hält, blickt man auf etliche Pfeile und Linien, die separat voneinander dargestellt werden. Dazu ändern sich die Buslinien sehr oft. Was also tun? Man versucht, die Buslinien mit der Karte in Übereinstimmung zu bringen. Dann begibt man sich zur nächsten Bushaltestelle. Die Bushaltestellen hier sind übrigens einfach Affären aus einer gedeckten Bodenfläche und einem Busbildchen. Keine Infos, wer hier durchfährt, und wann. Zürcher! Ich kann euch nur sagen, ihr seid verwöhnt! :)
Also wartet man (und das kann dauern), bis der gewünschte Bus auftaucht. In der vorderen Hälfte des Busses ist ein Drehkreuz angebracht, neben dem ein Mann oder eine Frau sitzt. Die Männer versuchen durchgehend wie Will Smith in diesem Alienfilm mit den roten Vergess-o-Maten auszusehen. Da man kein Arbeiter von Brasilien ist (und Bustickets für 80 Centavos, d.h. 30 Rappen kriegt), drückt man dem guten Mann 1.55 Real in die Hand, worauf er einen durch das Kreuz passieren lässt. Wehe aber dem, der kein Kleingeld dabei hat. Dann ist man dem Drehkreuziger ausgeliefert, und man darf hoffen, dass einem die 10 Reais Note gewechselt wird. Dafür darf man dann aber auch so weit fahren, wie man möchte, oder zumindest bis zum Terminal. Will man aussteigen, wirft man sich einfach flach in den Strassengraben. Huch? Nein, man zieht an einem Seil, das sich durch den Bus zieht, und drängt sich dann unter Anwendung Quasi-tödlicher Kampfsportarten zum hinteren Ausgang.

Soweit zu Busfahrten. Nervös steige ich in den Bus, krame das nötige Kleingeld aus der Tasche, und setze mich in den Bereich für Invalide. Schliesslich bin ich Tourist, also teilinvalid (effektiv stumm und taub). Zu Invaliden zählen übrigens auch Schwangere, Fette und Alte. Politisch inkorrekt, dafür sind die Sitze etwas besser gelegen und leuchtrot, damit man nicht selbst auf den eigenen problematischen Zustand hinweisen muss.
Der Bus ist prallvoll - ich versuche trotzdem ab und zu subtil die Karte hervorzuholen und einen Blick darauf zu werfen, um zu wissen, ob ich jetzt dann aussteigen muss. Ich gebe aber auf und versuche über die Köpfe hinweg das Einkaufszentrum zu erhaschen. (Ziemlich einfach übrigens, die meisten Leute hier sind sehr klein - mit Ausnahme von einigen jungen Menschen, die sogar grösser als ich sind. Ich habe sowieso den Eindruck gekriegt, dass generell die Menschen recht schnell viel grösser geworden sind. Ernährung ist sicher ein Grund dafür. Aber was hat sich geändert? Mehr Fleisch? Mehr Medikamente im Essen? Zu oft Basketball geschaut? ;) Nein, aber im Ernst, würde mich echt interessieren.)

Ich kann das Einkaufszentrum nicht verfehlen. Seitlich sieht es aus wie die Titanic. Jedenfalls ist es so gross, und als der Bus weiterfährt, leer übrigens, schwimme, rudere ich im rauschenden Strom zum Eingang...

Zum Einkaufszentrum nur kurz (Ich meine, es ist nicht diiiie kulturelle Entdeckung) die folgenden Beobachtungen:
Extrem edel aufgemacht. Sehr billig. D.h. die Preise entsprechen von der Zahl her genau den Schweizer Preisen. D.h. Schuhe kosten so 250 R$, aber da der Wechselkurs bei flotten 2.5 oder so liegt, ist alles 2.5 mal billiger. Fast ausnahmslos. (Ausnahme: Technologie, also Computer, Hi-Tech Elektronik usw.)
Ich gucke mir Shrek auf Portugiesisch an - um mich herum alles Kinder mit ihren Müttern, die mich verdächtigend Beäugen. Mir fällt sowieso auf, dass ich recht oft angestarrt werde. Bin ich so gross? Starre ich die ganze Zeit? Wegen was? Die Antwort dann, als mich viele wegen meiner Augen befragen. Zwar sind die Leute hier sehr, sehr gemischt, aber bisher habe ich keinen einzigen Asiaten erblickt! Einige später geäusserte Kommentare lassen mich wundern, ob ich sogar hier etwas speziell "auffalle". Nicht, dass ich gross auffalle, aber doch recht viele haben meine Mischung aus dunkler Haut und asiatisch anmutenden Augen als "merkwürdig" kommentiert.
Am Mittag grüble ich recht lang drüber nach, wieso die Leute hier so krass gemischt sein können und ihnen trotzdem noch solche Dinge auffallen. Kann ich denn nirgendwo unter "meinen" Leuten sein? (Schrie er gen Himmel ;) )
Nein, quatsch. *g*

Danach wende ich mich dem neu erstandenen Sherlock Holmes zu ("Um estudio em vermelho" A study in red?) - bergeweise Seiten an Portugiesisch. Parallel zum Churrascão im Magen versuche ich es zu verdauen, und erreiche immerhin drei Seiten. Jetzt kenne ich die erste Hälfte der Lebensgeschichte von Watson, wenn mich nicht alles täuscht.

Der Tag endet dann damit, dass ich mich im grossen Supermarkt im Shoppingzentrum verlaufe im Versuch, ein Waschmittel zu finden...

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