Freitag, 23. Juli 2004

Federal Police vs. Flo (Halbzeit, 1:0)

Zum Titel: Der Zwischenstand war ja auch zu erwarten. Auf der einen Seite eine staatliche unterstützte Organisation mit etlichen Millionen Jahresbudget und Tausenden von Mitarbeitern, auf der anderen Seite ich, Budget ... *zähl* 83 Reais und 45 Centavos, mit mangelhaftem Portugiesisch, aber von feurigem Geblüt! ;)

Aber erst mal zur Kantine der PUCRS - ausgezeichnet, kann ich nur sagen! Mit den "Cliente Freqüente"-Scheinen (Das "ü" übrigens kein Schreibfehler - es deutet darauf hin, das man das "que" nicht als "g'he", sondern als "gue" aussprechen soll), die mir ein freies Mittagessen bescheren, inklusive Getränk, stolpere ich über den Eingang des nicht mal so grossen Gebäudes. Am Eingang wird mir ein Zettel in die Hand gedrückt, auf dem alle meine getätigten Einkäufe notiert werden. (Ganz ähnlich funktioniert es hier übrigens in den Clubs - wenn man dort aber den Zettel verliert, zahlt man den maximal angenommenen Betrag, den ein Mensch vertrinken könnte. Letztens war ich in der Acqua-Bar, in der man bei Verlust des Zettels sage und schreibe 300 Reais zahlen musste, was etwa 50 Drinks entspricht!) Felipe meinte, dass jeder Austauschstudent, der hier 3 Monate verbringt, nachher 7 kg schwerer nach Hause geht. Wie das geht? Nunnnn, die Kantine hat erstens eine grosse Auswahl an verschiedenen Gerichten, zweitens ist das Essen sehr gut, drittens verfügt sie über edelste Desserts, schliesslich aber der Hauptgrund: Sie ist à la discretion! (Übersetzung: Das Mittagessen ähnelt nicht einer angenehmen Essenseinnahme, sondern einer Willensprobe. Wird man je aufhören können, sich zu den unvergleichlichen Sushi-Häppchen, dem lockenden Gemüsereis, dem genialen Milchreis zu begeben? :) )
Und dann ist da natürlich noch das Churrascão ;)
Oioioi.

Am Nachmittag dann die Federal Police.
Der Grund: Ich will einen Ausländerausweis - ein Zettel mit Foto, übrigens.
Im holprigen Bus fahre ich zu dem auf der mangelhaften Karte mit einem Punkt markierten Ort. Die Strassen hier sind ziemlich staubig, und von Katalysator keine Spur, was meine an Luft, die durch grünste Wälder, taubenetzte Blättermeere usw usw. gefiltert wurde, gewöhnte Lunge doch recht strapaziert. (Ehrlich gesagt, ich kämpfe auch jetzt noch damit und vermutlich wird es sich nicht ändern) Die Luft nahe der Strassen hier ist unglaublich petrolgeschwängert!

Zur Absicherung frage ich dann doch noch einmal kurz eine alte Frau, wo denn die "Policia Federal" sei (Desculpe, Onde Fico O Policia Federal?). Worauf sie mich mit einem Schwall an Portugiesisch übergiesst, sie dann aber - rüstig, ich bin beeindruckt - meinen blanken Blick bemerkt und nachfragt, ob ich vielleicht irgendeine Fremdsprache spreche? Zu meiner Überraschung spricht sie perfekten Schleswig-Holsteinschen Dialekt (falls es sowas gibt) - und informiert mich auch gleich darüber, dass sie Ende Weltkrieg ausgereist sei.

Natürlich ist der einzige Mensch, der bei der Bundespolizei Englisch kann, in seiner Pause, und so wird der erste Freiwillige (eine sich sehr bemühende Frau) mit mir konfrontiert. Ich kann nur sagen, Zirkus ist nur halb so spannend - versucht doch einmal, zu einer Behörde zu gehen, und nur mit Handzeichen ein Formular zu verlangen.
Um mich kurz zu fassen:
Ich kann mein Visum nicht verlängern, sondern muss (Achtung, jetzt kommts) vor Ende der Zeit ausreisen und dann wieder einreisen - um einen Touristenstempel in meinen Pass zu kriegen! *gnaha* Damit kann ich dann weitere drei Monate im Land bleiben. Interessanterweise kann man das Touristenvisum im Land verlängern, da ich aber den Typ ändere, muss ich ausreisen und wieder einreisen.
Gut, wohne ich so nahe an der Grenze. :)

Entschuldigung übrigens, wenn die Berichte etwas kürzer werden, aber ich muss aufholen. Ich verspreche aber, dass sie nie das "Heute habe ich gegessen. Dann geschlafen."-Niveau erreichen werden :)

An dem Tag denke ich auch darüber nach, wie es sein kann, dass die jungen Leute hier relativ gut aussehen, die Alten dann aber relativ schnell nicht mehr. Könnte es sein, dass das Leben in einem industrialisierten Drittweltland (wie z.B: die USA *gg*) doch recht an den Kräften zehrt? Auch gibt es hier relativ wenig alte Menschen. Felipe meinte aber dazu, dass die Lebensbedingungen ziemlich gebessert haben, jedenfalls hier in Porto Alegre (DER Stadt in Brasilien mit der höchsten Lebensqualität!) - und dass die Anzahl alter Menschen stark im Steigen befindlich sei.

Apropos obige USA-Bemerkung. Die Umgebung hier erinnert mich doch recht stark an Suburbia, USA. D.h. Mächtige Strassen, Autos über Autos, Tankstellen über Tankstellen, billig, Essen in rauhen Mengen, viele Fastfoodketten, Abfall.
Möglicherweise tu ich der Stadt unrecht, aber viele Orte hier sehen aus, wie wenn sie ständigem Verfall ausgesetzt wären. Vielleicht werden die neuen Gebäude direkt auf den Trümmern der Alten gebaut, und wenn man etwas länger gräbt, kann man Teile von wunderschönen Bauten aus dem 19. Jahrhundert finden? ;)


Bisher hatte ich noch nicht den Mut, meine Kamera herumzutragen. Aber dazu ist ja noch Zeit, die Stadt rennt nicht weg.

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Zu den Strassen: Mitlerweile habe ich das Gefühl, dass wir in der Schweiz fast eine Ausnahme darstellen was den American Way of Strassenbauing betrifft... Argentinien aber auch Frankreich und Deutschland und andere Länder nähern sich auf ihre Weise immer weiter an...

Die Camera kannst du ruhig mit dir rumtragen. Aber trage sie am besten in einem Rucksack etwas versteckt - und mit einem offenen Auge... und mit einem Baseballschläger und grimmiger Mine - mit dir rum
Ernesto

Florian Hanke hat gesagt…

Juhu!
Der erste Kommentar :)

Werde die Kamera demnächst etwas mehr mit mir herumtragen - ist halt ein elendes Riesending. Fotos kommen!

Zum Strassenbauen: Die Strassen sind zwar mächtig, aber dafür haben sie auch viele Spuren. D.h. die einzelnen Spuren sind nicht so breit, sondern fast sogar noch schmaler als in der Schweiz. Der Grund dafür liegt darin, dass hier vor Allem kleine Fiats oder VW Gols (nicht Golfs) gefahren werden. Mit fetten Amerikanerwagen, wie sie stupiderweise leider in der Schweiz mehr und mehr anzutreffen sind, kriegt man hier nur Dellen.

Anonym hat gesagt…

jo, über die GOLS hab ich auch schon einige Male gelacht.
Erni - he, ich hab mir heute nen Gol gekauft
Bert - nen was?