Mittwoch, 21. Juli 2004

Kalt Duschen, Teil I

Schon ziemlich viel erlebt, aber der Tag ist noch lange nicht zu Ende!

Denn jetzt erst kommt... Porto Alegre! ("Portu Allegri" - "Fröhlicher Hafen", oder auch "Hafen der Freuden"? Ob von langen Ozeanreisen gezeichnete Seebären den Ort so genannt haben, unter Mithilfe der lokalen Bevölkerung? :) )

Erste Eindrücke:
Anflug bei strahlendem Wetter über ziemlich vielen Pflanzen - die "Lagune" gegenüber der Stadt. Südlich von mir die einigermassen grossen Wolkenkratzer, gefolgt von der der 737-300 eigenen Holper-Stolper-Iiietsch-Quietsch Landung.
Wir alle applaudieren herzlich, als die Bremsen sich gemächlich an die Arbeit machen...

Porto Alegre wurde etwa Mitte des vorletzten Jahrhunderts von Deutschen, Italienischen, aber auch Schweizerischen Siedlern gegründet. Auf dem Flugzeug lerne ich den Enkel (und dessen Ehefrau) eines Deutschen kennen. Wir bewerfen uns gegenseitig mit Sprachbrocken - ohne nennenswerte Schäden. Im Gegenteil - ich entdecke, dass wenn man Italienisch zu sprechen versucht, dabei die Lippen und Backen hamsterhaft hängen lässt, man dem Portugiesisch, das hier gesprochen wird, sehr nahe kommt.

Als Erstes erkunde ich mal den Flughafen. Irgendwo auf dem ersten Stock tippt mir ein Typ auf die Schulter - und stellt sich als Mauricio vom lokalen CI (Central do Intercambio) Kommitee vor. Sein Englisch ist mehr als gebrochen - ein Mehrfachbruch am Schienbein. Daher bin ich erst mal etwas misstrauisch - Spider Senses tingling! Vielleicht etwas übereifrig, aber wenn noch ein zweiter Typ dazukommt, und die Beiden einem in Richtung eines Autos schubsen... Ich hab dann non-chalant versucht, einige schwierige Fragen zu meinem Aufenthalt zu plazieren, was sie mit Bravour bestanden haben.

Mittlerweile bin ich doch sehr müde, daher die folgende Beschreibung etwas knapper als die Vorhergehenden...

Endlich komme ich bei der Universität an - PUCRS, auch "Puggi" genannt. Ich werde Felipe Falcão vorgestellt, der mich dann im Labor herumführt. Wie gross, denkt Ihr, ist dieses Labor oder sind diese Labors? Hier die Bilder von der News-Seite...

*umguck* Ich tippe so auf 10x8 Meter. Bin doch ziemlich überrascht, da ich mehrere Räume erwartet habe. Auf dieser Fläche befinden ("herumliegen" ist präziser ;) ) etliche Prototypen für den Raumfahrt. Zum Beispiel eine Unterdruckkammer, um die Rückkehr des Astronauten in die Erd-Schwerkraft zu simulieren. (Dabei wird das Blut in die Beine gesogen) Umgekehrt kann eine Aufhebung des Unterdrucks um die Beine und ein folgendes starkes Zurückfliessen des Bluts ins Herz zu Ohnmacht und/oder Herzstillstand führen. Im Deutschen Luft- und Raumfahrtszentrum (DLR) ist das tatsächlich mal passiert. Darum stehen bei solchen Experimenten auch Heerscharen von Ärzten bereit, die sich à la American Football auf den japsenden Astronauten stürzen, um ihn auf die Erde zurückzuholen.
Weitere Prototypen beschreibe ich später...

Der Tag ist immer noch nicht fertig!

Als Nächstes fahre ich mit Felipe zu meiner Unterkunft. Zwar war mir bewusst, dass ich beim Eintritt in ein industrialisiertes Drittweltland jeglichen Anspruch auf Blubberbäder, Vorkoster, und Betten mit Kamelhaarmatratzen aufgebe, aber diese Unterkunft war dann doch ein ziemlicher Zivilisationsschock. (Nächste Woche: Flo entdeckt, dass man hier überall so wohnt! ;) ) Ich denke, ich lasse die später eingefügten Fotos für sich sprechen. Leider waren die Kakerlaken immer schneller als der Blitz der Kamera (von meinem Fuss ganz zu schweigen), so dass ihr nicht in den vollen Genuss der Situation kommt. Mein Zimmer übrigens ist eine kleine Zelle mit zwei knapp als Bett erkennbaren Konstruktionen und einem Schrank.

Dennoch: Die Duschen funktionieren nach dem Durchlauferhitzerprinzip. D.h. im Duschkopf befindet sich eine Heizspirale, die das durchlaufende Wasser erhitzt. Das Nachteil dabei sind die gleich neben dem Duschkopf freiliegenden Kupferdrähte. Der Vorteil dabei ist, dass man die Dusche auch bei pechschwarzer Nacht finden kann: Man folge dem Geruch der Elektrokutionen. ;)

Da es erst etwa 3 Uhr Nachmittags ist, beginne ich mal, die Nachbarschaft zu erkunden. Etwa 100 Meter von meiner Unterkunft befindet sich ein riesiges Shopping-Center. (Am folgenden Wochenende entdecke ich dann auf einer ausgedehnten Mall-Tour verblüfft, dass es das Kleinste der hiesigen Centers ist)
Weitgereiste werden sich schockiert die Hände vor Augen halten, aber ich entscheide mich, Spiderman 2 zu schauen. (Englisch, mit Untertitel) Dazu muss noch erwähnt werden, dass hier vielleicht 1% der Bevölkerung Englisch spricht. Dazu gehören übrigens nur in den seltensten Fällen die Angestellten des Kinos. Mutig schreite ich gen Kasse, die Worte "Homem-Aranha Dois" im Kopf. Man kann wirklich nichts falsch machen.
Doch, man kann. Breit grinsend, die Worte springen von meinen Lippen, das Ergebnis von mir aus gesehen ein Meisterwerk an Fremdsprachenkunst. Dummerweise sind mir die Feinheiten der Brasilianischen Aussprache noch nicht geläufig, und so sage ich anstatt "Omem Arana dois" "Omem Aranscha dois", was nicht Spinnenmann, sondern Orangenmann bedeutet! "Orangenmann Zwei! Jetzt mit noch mehr Vitaminen!" (Die Angestellte gröhlt sich zu Tode, ihr Lachen folgt mir noch bis in die dunklen Gänge des Kinos) Ein unterhaltsamer Film, besonders wenn man sowieso nichts anderes zu tun hat. Trotzdem ist es ziemlich merkwürdig, dass sich niemand über die am Leinwandrand halbierten Untertitel beschwert. Vermutlich bin ich der Einzige, der die Story begriffen hat. Oder wenigstens die untere Hälfte davon ;) mitgekriegt hat.

Schliesslich stolpere ich müde durch den enooooormen Supermarkt (in dem z.B: etwa 37 Spülmittelmarken um "ihr Vertrauen" buhlen). Ich komme mir vor wie ein Papparazzo, als ein Wachmann mir mit vorgehaltener Hand verbietet, vom Supermarkt ein Foto zu schiessen. Ich kaufe noch eine Decke für die kommende Nacht.
Generell bin ich verblüfft, wie billig alles ist. Im Vergleich zur Schweiz kostet hier fast alles 2,5 mal weniger, was in etwa dem Wechselkurs entspricht. Will heissen: Die angeschriebenen Preise könnte man mit einem CHF am Ende auch so in der Schweiz antreffen.
Schliesslich zahle ich an einer der 66 Kassen, der Einpacker stopft die drei Sachen, die ich gekauft habe in drei separate Taschen und entlässt mich mit einem Lächeln in die Nacht...


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