Freitag, 6. August 2004

Busfahrt nach Foz do Iguacu

Heute Nacht soll es nach Foz do Iguazu gehen!

Diverse Weltkriege, Kriege, oder auch Bush beweisen, dass die Menschheit nicht fähig ist, aus der Vergangenheit zu lernen. Nunnn, Mathias und ich können den Rest der Menschheit in dieser Überzeugung nur schwer alleine lassen, und wir entscheiden uns, wiederholt den Bus zu nehmen. Eine kurze Beschreibung der Umstände, die auch dieses Wochenende einleiten, findet sich hier. (Busstation, Bus, Wetter: Identisch)

Die Worte wollen momentan nicht flockig leicht über die Fingerkuppen hüpfen, deshalb eine Aufzählung der dramatischen letzten Minuten vor der Abfahrt des Busses. Vielleicht ist das für Mitleser mit überdrehter Fantasie sogar NOCH spannender, als es sowieso schon ist?
(19:15 - pünktliche Abfahrt des Busses)
18:20 - Wir splashen (Ok, kein deutsches Wort, aber es trifft es ziemlich genau) durch die Strassen zur Busstation.
18:21 - Ich trete genau in ein Wasserloch. Wenigstens wird diesmal Mathias nicht von einem Busfahrer nassgespritzt.
18:25 - Busstation. Kein Bus.
18:26 - Es regnet in Strömen. Der Überlebenstrieb setzt ein: Die Wartenden versuchen, sich gegenseitig unter dem kleinen Dach der Busstation hervorzuschubsen.
18:31 - Ein alter Mann, der sich nicht wehren konnte, liegt nun im Nass. Ich wende meinen Blick vom traurigen Schauspiel ab. Die Natur nimmt ihren Lauf.
18:35 - Nach unsäglich feuchten Minuten kommt der Bus!
18:40 - Hunger setzt ein, der Bus steckt im Stau.
18:45 - Die geplante Ankunft am Busbahnhof (Rodoviaria) wird auf Weiteres verschoben.
18:55 - Eine Laufminute vom Busbahnhof entfernt, im Stau.
19:00 - Fünf Minuten später: Ankunft! Wir eilen zum nächsten Burgerladen...
19:02 - Wir bestellen.
19:05 - Mathias und ich versuchen beide, gleichzeitig einen Burger und Frites zu essen und Guarana zu trinken. Keine Gesichtsöffnung bleibt unbenutzt. Es ist kein schöner Anblick.
19:14 - Wir flitzen beide zum Bus, eine Spur von Servietten, Frites, und Ketchup hinterlassend. Ich glaube, an meinem Schuh klebt auch noch eine Dose.
19:15 - Pünktlich beim Bus! *high five* :)

Meine Sitzposition verspricht mir eine einzigartige und unvergleichliche Geräuschkulisse - ich sitze ganz hinten, gleich neben Kaffeemaschine (*blubber*) und Toilette (*blubber blubber*). Die Kulisse wird noch zusätzlich dadurch verstärkt, dass die beiden Lebensformen, äh, Geräte eine symbiotische Beziehung eingehen: Die Toilette lockt potentielle Opfer in die Nähe der Kaffeemaschine, und die Frucht der Kaffeemaschine zwingt die Opfer wiederholt zur Toilette. Ein Teufelskreis, der perfekt die Vorgänge der Natur demonstriert. Genau neben meinem Ohr.

Doch mir bleibt es vergönnt, irgendetwas davon wahrzunehmen, sinke ich doch kurz nach diesen Gedanken in tiefen Schlaf. (Und nachdem mir Santi zum 546sten Mal erklärt, was genau "cajondo" auf Spanisch bedeutet, und wie er im Zusammenhang mit diesem Wort steht ;) )

Zwei Stunden später zwängt sich grelles Licht durch meine krampfhaft zusammengepressten Augenlider. Aliens! Nein, aber nur knapp daneben: Ein riesiges All-Night-Cafe-Colonial&Churrascão-Restaurant, das sozusagen die drei umliegenden Dörfer beschäftigt (und damit auch "ernährt"). Die Geräusche in der Halle sind gedämpft, ich bestelle mir eine Torrada (Toast mit Schinken und Käse). Aschfahles Licht aus fluoreszierenden Lampen ergiesst sich in der Halle, die Umgebung ist in tiefste Dunkelheit getaucht, ich könnte auch genausogut auf dem Weg vom Mars zum Jupiter sein, mit Zwischenstop beim "Chez Asteroidengürtel".
Es stellt sich heraus, dass dieser Vergleich nicht ganz unpassend ist. Immer wieder aus unruhigen Träumen aufwachend, starre ich schlaftrunken in die Umgebung. Ein Geisterdorf, das komplett von Neonröhren beleuchtet wird. Bäume, die kurz von unseren Scheinwerfern angestrahlt werden, dann als ergrauende Streifen an den Fenstern vorbeiziehen. Manchmal sehe ich eine riesige Autobahn, die unsere Strasse fast in Fahrtrichtung kreuzt, über ihr die prachtvollen Sterne der südlichen Hemisphere. Die meisten davon habe ich noch nie erblickt.
Wir rauschen extrem schnell über die unbeleuchteten Strassen, entgegenkommende Autos sind in Sekunden wieder hinter uns verschwunden, manchmal streift unser Bus das Blätterdach der die Strasse einrahmenden Bäume. Die Fahrt ist sehr holprig, was zum Glück fast immer von den sehr weichen Sesseln des Sitzes aufgefangen wird.
Der Raum mit dem Chauffeur wird von Vorhängen verdeckt. Ich frage mich: Wer sitzt da verhüllt, 14 Stunden lang über die Landstrassen Brasiliens rasend? Ist es nicht merkwürdig, auf einer riesigen Kugel durch den leeren Kosmos zu fliegen, in einem Bus, der ebenfalls auf dieser Kugel fährt? Und woher weiss ich, dass ich mich auf einer Kugel befinde; wieso nicht in einem schnell dahinschiessenden Bus, unter dem die Erde wie ein Laufband liegt? Ich denke auch an meine Eltern und meine Schwester. Warum? Ist es das Gefühl an den "nahen" Tod? (Z.B: Sekundenschlaf des Busfahrers) Oder einfach das leichte Unwohlsein, wenn ich mein Leben in die Hände eines Menschen lege, der ein etliche Tonnen schweres Ungetüm mit hoher Geschwindigkeit über die Erde bewegt? (Siehe Flugzeuge)
Merkwürdige Gedanken, das gebe ich zu, aber ich denke, ihr würdet verstehen, wärt ihr ebenfalls in dem Bus. :)

Um 6 ein erneuter Halt, Morgenessen ("Café da manhã"), gefolgt von einer Fahrt durch einen Quasi-Urwald, der auf tiefrotem Boden wächst. Mir fällt auf, dass die Windschutzscheibe des Busses an einer Stelle zersplittert ist, Ursprung langer, sich über die Glasfläche legender Risse.

Um 9, eine Stunde verspätet, kommen wir an.

(Nebenbei: Mein Schreibstil ist im Moment wohl von Joyce's "A portrait of the artist as a young man" beeinflusst. Ein merkwürdiges Buch, das ohne die vielen religiösen Abhandlungen ganz ok wäre.)


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